MIGRATION - SCHAFFEN WIR DAS?

Zehn Jahre nach der starken Zuwanderung im Jahre 2015 wird uns immer wieder der Ausspruch von Angela Merkel „Wir schaffen das“ in Erinnerung gerufen. Und mehr noch als damals wird heute diese Aussage kritisiert und als Grund für den Anstieg des Rechtspopulismus angeführt. Zuletzt (Juli 2025) kritisierte ihr ehemaliger Innenminister Horst Seehofer Merkel außerordentlich scharf und forderte sie auf, zu den Opfern ihrer Politik zu gehen, um zu sehen, was sie angerichtet hat. Wenn man Merkel einen Vorwurf machen kann, dann nur den, dass ihren klaren Worten zu wenig an konkreten Integrationsmaßnahmen seitens des Staates folgten! Aber wahrscheinlich waren einige gar nicht interessiert, dass die Aufnahme und Integration gelingen würden!

Um dem ansteigenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus entgegenzutreten, wird nun auch die Flüchtlingskonvention von 1951 in Frage gestellt, und zwar auch von Medien, die sich dem Internationalismus und der Globalisierung verpflichtet fühlen. So fordert der „Economist“ vom 12.07.2025 „Scrap the asylum system“, also die Aufkündigung der Flüchtlingskonvention. Statt Flüchtlinge in reichen Ländern aufzunehmen, sollten diese vor allem Flüchtlingsunterkünfte nahe der Krisenregionen finanzieren und die entsprechenden Länder großzügig unterstützen. Sie sollten die Aufnahmestaaten anregen dafür zu sorgen, dass sich die Flüchtlinge durch Arbeitseinkommen selbst versorgen können. Es geht darum, den „Fokus darauf zu legen, dass die Menschen, die fliehen müssen, am nächsten sicheren Ort Zuflucht und Unterstützung finden können“.

Nun ist es sicher vernünftig, solche Staaten und Orte zu unterstützen. Aber leider erleben wir gerade das Gegenteil. Vor allem die USA kürzen massiv ihre Auslandshilfen, und zwar so, dass sie - zum Beispiel durch Kürzung von Gesundheitsprogrammen - sogar noch zusätzliche Fluchtursachen schaffen. Ja, Menschen in der Nähe ihrer ursprünglichen Heimat zu beherbergen und sie nicht den verbrecherischen Menschenschmugglern zu überlassen, macht wirklich Sinn. Dazu müsste man allerdings weder die Flüchtlingskonvention noch die Menschenrechtskonventionen ändern, sondern „nur“ die Politik. Aber gerade diejenigen, die sich politisch massiv gegen die Zuwanderung wenden, sind dieselben, die sich gegen finanzielle Unterstützung der - meist ärmeren - Aufnahmestaaten aussprechen.

Im jüngsten Buch der österreichischen Migrationsforscherin Judith Kohlenberger „Migrationspanik“ (Picus Konturen 2025) wird ein anderer Ansatz verfolgt. Sie fordert „eine gesunde Portion Pragmatismus, Realitätssinn und Zukunftsorientierung“, aber auch ein „unumstößliches Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit und Humanität“. Dazu gehören sowohl schnellere Asylverfahren aber auch „im europäischen Verbund abgestimmte Grenzkontrollen an den Außengrenzen, die auch gemeinsam bezahlt werden“. In der Tat ist es grotesk, dass wir europäische Außengrenzen haben, aber keinen wirksamen europäischen Grenzschutz. Das habe ich auch jüngst im Hauptquartier der europäischen Grenzschutzbehörde FRONTEX in Warschau nachvollziehen können. Dabei handelt es sich eher um eine Grenzüberwachung als um eine effektive Grenzkontrolle! Auch die Appelle aus dem Europäischen Parlament, FRONTEX ausreichend zu finanzieren, sind immer wieder auf taube Ohren bei den Regierungsvertretern gestoßen.

Mit Recht fordert Judith Kohlenberger auch eine aktive Integrationspolitik. Dazu gehören gezielte Ausbildungsmaßnahmen und eine raschere Anerkennung ausländischer Ausbildungsabschlüsse bzw. faktische Ausbildungen, um auf den europäischen Arbeitsmärkten rascher Arbeit zu finden aber auch „konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierung“.

All das wird aber nicht helfen, den Widerstand, der - vor allem extremen - Rechten gegen eine humane Flüchtlings- und generell Zuwanderungspolitik zu brechen. Judith Kohlenberger verlangt daher auch eine „Politik der Empathie“, also die Schaffung eines Gesprächsklimas, das nicht jeden Kritiker der Zuwanderung zurechtweist und vor den Kopf stößt. So „greift der routinemäßige Ruf nach <Abgrenzung nach rechts> zu kurz, weil kursierende schablonenhafte Beschreibungen des/der typischen Rechtswähler:in deren Vielschichtigkeit nicht gerecht werden“. In der Tat angesichts der wachsenden Zahl jener, die autoritäre, rechtsgerichtete Parteien unterstützen, muss es eine größere Vielschichtigkeit an Motiven, Argumenten und Haltungen dieser Wählerschicht geben.

Aber dennoch dürfte es einige gemeinsame, tiefere Ursachen für dieses Wahlverhalten geben, die über das reine Ärgernis über die starke Zuwanderung hinausgehen. Ingolfur Blühdorn, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, geht in „Unhaltbarkeit - Auf dem Weg in eine andere Moderne“ (edition Suhrkamp 2024) davon aus, dass sich viele Menschen angesichts der großen Zahl unbewältigter Krisen - denken wir an die Klimaveränderungen, den Ukrainekrieg, die digitalen Herausforderungen etc. - „zugunsten der Sicherung des Status quo“ entscheiden und „stark gegenwartsfixiert vor allem darum bemüht sind, die unmittelbaren Folgen der immer schneller aufeinanderfolgenden Krisen halbwegs in den Griff zu bekommen“.

Dabei wurde durch die zunehmende Demokratisierung im Sinne der Betonung von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung „der abwehrende Rückzug ins Private zur Norm“. Da wird dann die Zuwanderung nicht als notwendig für die Aufrechterhaltung der Wirtschaft sowie der gesundheitlichen und sozialen Versorgung gesehen, sondern als Störfaktor für das „gute Leben“ unter seines/ihresgleichen. Vor allem wird die Sorge um die menschenwürdige Behandlung der Zuwanderer als Missachtung der eigenen Person gesehen. Man fühlt sich gegenüber den Neuankömmlingen zurückgesetzt und missachtet.

Im Rahmen der, auch von Judith Kohlenberger geforderten, „Politik der Empathie“ muss gerade auch dieses Gefühl angesprochen werden. Aber das kann auch nur geschehen, wenn die Leistungen für die Zuwanderer und vor allem auch für Asylsuchende im Rahmen des Sozialsystems gerechtfertigt werden können. Zwischen Aktiveinkommen und Sozialleistungen muss generell ein nachvollziehbares Größenverhältnis bestehen und das muss sicher auch für die Sozialleistungen für Zuwanderer gelten. Diesbezüglich sollte man von Reformen nicht zurückschrecken! Aber dann sollten Zugewanderte auch die Möglichkeiten haben, legal zu arbeiten. Darüber hinaus muss klargestellt werden, dass über das Humanitäre hinaus die Zuwanderung für die Gesellschaft insgesamt Vorteile bringt. Das muss aber auch von der Politik offensiv vertreten werden.

Dennoch, zu hoffen, dass durch Argumente allein die „Fremdenfeindlichkeit“ zurückgeht und sich irgendwann auflöst, ist vergebens. Aber im Rahmen einer „Politik der Empathie“, die allen Menschen gegenüber versucht, gerecht zu werden und die den Dialog sucht, ohne von den Grundsätzen der Menschlichkeit - die ja für alle gelten - abzugehen, ist das Gespräch auf Augenhöhe der einzige Weg, den man in einer Demokratie gehen kann. Und wir sollten das schaffen, was wir schaffen können, und das ist mehr, als wir bisher geschafft haben.

Dass Europa es auch besser schafft als bisher, ist auch deshalb notwendig, weil die starke Polarisierung der europäischen Gesellschaften den Feinden und Gegnern Europas ein leichtes Spiel verschafft. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, den besten Weg zu finden, um sich gegen all jene stark zu machen, die heute mit wirtschaftlicher oder militärischer Macht gegen Europa auftreten, „verzettelt“ sich Europa in ideologischen Konflikten, nicht zuletzt über das Ausmaß von regulierter und irregulärer Migration. Eine pragmatisch aber gleichzeitig mit Empathie geführte Diskussion über Zuwanderung kann helfen unüberbrückbar scheinende Gegensätze zu überwinden und in lösbare Konflikte zu verwandeln.

Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.