Vor den beiden Weltkrieg war die Erziehung in den Schulen und oft auch zu Hause auf die Stärkung des Nationalismus ausgerichtet. Patriotische Erziehung war wichtiger Teil der jeweiligen nationalen Ideologie. Vorurteile wurden dabei nicht abgebaut, sondern oftmals verstärkt. Auch in der Medienlandschaft hat sich das widergespiegelt. Dabei war Deutschland der Extremfall mit Österreich in seinem Schlepptau. Der übersteigerte Nationalismus im Zusammenhang mit deutlichen Demokratiedefiziten führte dabei einerseits zu rassistischer Abwertung, Verfolgung und massenhafter Vernichtung von Jüdinnen und Juden sowie generell von nicht für „wertvoll“ gehaltenem Lebens. Anderseits beförderte dieser Nationalismus die Bereitschaft zum Krieg und zur Eroberung des Lebensraums für die deutsche Bevölkerung. Die Bereitschaft, radikale und nicht zu Kompromissen bereite Parteien zu wählen, die Verbreitung antisemitischer Vorurteile und die Sehnsucht nach Wiederherstellung eines großen und mächtigen Deutschlands gingen Hand in Hand. Parallele wenngleich weniger ausgeprägte Entwicklungen charakterisierten die politischen Systeme und Erzählungen in anderen europäischen Ländern. Grundsätzlich gilt was der französische Präsident Francois Mitterand in seiner letzten Rede vor dem EU Parlament gesagt hat: „Nationalismus bedeutet Krieg.“
Unvollständige Aufarbeitung
Nach dem zweiten Weltkrieg haben die politischen Verantwortlichen, nicht zuletzt auf Grund der Kriegskatastrophen, versucht daraus zu lernen. Die Gräuel des Krieges und des Holocaust wurden zwar nicht vollkommen „aufgearbeitet“ aber zunehmend wurden sie als das dargestellt und beurteilt, was sie waren: eine Verrohung und eine grobe Verletzung all jener Grundwerte, die ein menschliches Zusammenleben erst möglich machten. In der Folge fanden auch die furchtbaren Taten aus der Kolonialzeit Eingang in die gesellschaftliche Aufarbeitung, nicht zuletzt auch über die Literatur.
Es gab aber schon von Anfang an Gegenbewegungen, die ein Zuviel an Aufarbeitung beklagten - vor allem in Deutschland und Österreich. Prominenter deutscher Vertreter war der Schriftsteller Martín Walser mit seiner Rede in der Paulskirche. Damals sprach er - auch wenn er dies später bedauert hat - von der „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“. Und er sagte: „Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen.“ In der Folge gab es zunehmend Kräfte, die weggeschaut haben und sogar begonnen haben die Untaten der Nazi-Zeit zu verniedlichen und zu leugnen.
Am Beispiel Israel - Palästina
Heute stellt sich aber zusätzlich die Frage wie man mit der Erinnerung an die Gräuel der Nazizeit in einer Migrationsgesellschaft umgeht. Wie vermittelt man das, was in Deutschland in und durch Deutsche bzw. Österreicher etc. passiert ist, jungen Menschen, die vielleicht ganz Anderes mitgemacht haben? Sie bzw. ihre Familien waren Opfer von Bürgerkriegen bzw. speziell auch des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern. Sie sehen in Israel nicht das Land, das den Juden, die in Europa verfolgt und brutal ermordet wurden, Zuflucht geboten hat, sondern vor allem das Land, das ihre Vorfahren vertrieben hat und auch heute noch fundamentale Rechte verwehrt. Sie sehen Israel als westliche Enklave in ihrer eigenen Region des Nahen Ostens. Und so wird immer wieder über die tatsächlichen Ungerechtigkeiten hinaus, Israel - und mit dem Staat auch die Juden und Jüdinnen - mit dem Unrecht schlechthin identifiziert.
In diesem Zusammenhang verweisen auch einige jüdische Autoren und Autorinnen, vor allem Omri Boem darauf, dass es wichtig ist, den Ausruf „Nie wieder“ als generelles Gebot zu definieren. So sollte es nicht nur dazu führen, nie wieder Pogrome gegen die Juden zuzulassen, sondern es sollte verboten sein, generell Völkermord oder ähnliche Verbrechen zu ermöglichen bzw. zu rechtfertigen. In diesem Sinn meint Omri Boem in der auf Grund der israelischen Intervention nicht gehaltenen Rede bei einer Gedenkfeier in Buchenwald „Das Gegenteil von Vergessen ist nicht nur das Wissen um die Vergangenheit, sondern auch die künftige Einhaltung der Pflichten, die uns von dieser Vergangenheit auferlegt worden sind“ (SZZ 7.4.2025)
Bei aller schrecklichen Einmaligkeit des Holocaust muss es eine generelle und unzweideutige Verurteilung völkerrechtswidriger Handlungen geben und es sollten internationale Gerichte nicht unterlaufen werden. Es geht um ein generelles „Nie wieder“. Bezüglich des israelisch-palästinensischen Konflikts appelliert Omri Boem an alle Bürgerinnen und Bürger „die palästinensischen und israelischen Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen schützen zu wollen, und fordert in diesem Namen eine Stärkung des Völkerrechts.“ (FAZ 27.03.2025)
Weder ein jüdischer bzw. israelischer noch ein palästinensischer Nationalismus führen zu Frieden. Und sowohl die undemokratischen, gewaltbereiten Hamas Strukturen wie auch die Bestrebungen der gegenwärtigen israelischen Regierung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterminieren verhindern eine Lösung des bestehenden Konflikts. Das Festklammern an Macht der Hamas Führung und des israelischen Premierministers Netanyahu führt jedenfalls zu weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen.
Orientierung an Macht anstatt Demokratie
Unabhängig vom Einfluss des israelisch-palästinensischen Konflikts entwickelten sich aber politische Parteien, die dem Nationalismus huldigten und die Errungenschaften der europäischen Union zurückdrehen wollten. Diese waren nicht immer Holocaust-Leugner und Verniedlicher der Nazi-Verbrechen. Zum Teil sind sie solidarisch mit dem israelischen Premierminister Netanyahu und noch extremistischeren Politikern Israels. Sie entwickelten sich auch in Ländern mit einer starken Anti-Nazi-Tradition, wie die Niederlande. Oftmals haben diese Bewegungen ein - ideelles oder manchmal auch materielles - Naheverhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin entwickelt. Und in jüngster Zeit sind sie dem alten bzw. neuen US-Präsidenten Trump zugeneigt. Und plötzlich wird auch der traditionellerweise in rechten Krisen grassierende Anti-Amerikanismus zu einer Idolisierung bzw. Idealisierung von Trump, Vance und Musk verwandelt.
Was sie allesamt ablehnen, ist die Demokratie als Ort des Kompromisses und des Aushandelns. Sie beklagen die „Machtübernahme“ durch eine global orientierte und aktive Elite, der sie vorwerfen die Gesellschaft im Interesse von - sexuellen, religiösen etc. - Minderheiten umzugestalten. Demgegenüber vertreten diese disruptiven Kräfte „das Volk“ und bewundern dabei den aktivsten Vertreter der globalen Elite - Elon Musk. Demokratie wird abgewertet bzw. benutzt, um persönliche Macht auf- und demokratische Entscheidungsverhältnisse abzubauen. Wieder müssen wir erkennen, dass Demokratie von geschickten Manipulatoren verwendet werden kann, um autoritäre und diktatorische Verhältnisse einzuführen bzw. zu stabilisieren.
Lernen aus der Geschichte
Will man die Bedeutung der Demokratie vermitteln so muss dies als Gegenstand vieler Kämpfe um die Durchsetzung bzw. Vorherrschaft dieser Staatsform im Laufe der Geschichte vermittelt werden. Die Geschichte der Menschheit ist eine fortwährende Auseinandersetzung um Macht verschiedener gesellschaftlicher Gruppen mit ihren unterschiedlichen Interessen und der rechtlichen Form, in der diese Auseinandersetzungen stattfinden können bzw. in der versucht wird eine solche Auseinandersetzung zu verhindern. In Diktaturen wird durch Verbreitung von Ideologien bzw. durch Verfolgungen, Abschiebungen und Verhaftungen „unliebsamer“ Personen versucht, solche Konflikte zu unterdrücken. Der Diktator bzw. die autoritäre Oligarchie bestimmt wer Macht hat bzw. teilt solche Machtpositionen einzelnen Personen und Gruppen zu und entzieht sie wieder – ohne auf Kritik bzw. Widerstand aus der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Willkür und Missachtung von Gesetzen sind weitere Charakteristika solcher autoritären Systeme.
Was sich auf nationaler Ebene abspielt, findet auch auf internationaler Ebene statt. Über die letzten Jahrzehnte – nach dem 2.Weltkrieg - gab es den Versuch durch internationale Organisationen so etwas wie Demokratie, auch im Verhältnis zwischen Staaten, herzustellen. Viele Staaten, vor allem in Europa, wollten aus den katastrophalen und immer wieder zu Kriegen führenden Machtspielen der Großmächte die Konsequenzen ziehen. So sollte auf globaler Ebene durch die Vereinten Nationen (UNO) aber auch durch den Weltwährungsfonds, die Weltbank, die Welthandelsorganisation sowie internationale Gerichtshöfe Ordnung in die Welt gebracht werden, eine Ordnung, an der alle Länder beteiligt sein sollten. Nun, wie in nationalen Demokratien heißt das nicht, dass alle Länder de jure oder de facto gleichberechtigt waren. Innerhalb dieser Organisationen gab bzw. gibt es durchaus unterschiedliche Machtzuteilungen zum Beispiel in der UNO den Sicherheitsrat.
Dennoch besteht zwischen einer solchen, durch internationale Organisationen mitbestimmten Welt und einer, die nach den Vorstellungen von Putin und zuletzt auch von Trump organisierten Welt, ein deutlicher Unterschied. Diese Unterschiede herauszuarbeiten bzw. auch die diesbezüglichen Auseinandersetzungen zu analysieren ist die Aufgabe jeder Beschäftigung mit der Geschichte. Dabei geht es natürlich auch darum zu eruieren und zu diskutieren, wer bei solchen demokratischen bzw. autoritären Strukturen gewinnt bzw. verliert. Ein solch gestalteter Unterricht von Geschichte ist ein wesentlicher Beitrag zu Demokratieerziehung. Das heißt nicht, dass immer nur eine Wahrheit Gültigkeit hat. Aus verschiedener Perspektive können verschieden Wahrheiten zum Vorschein kommen. Entscheidend ist der Wille und die Bereitschaft nach Wahrheit zu suchen und dabei andere Meinungen mit in Betracht zu ziehen, ohne sie deswegen teilen zu müssen.
Ob es um die Analyse verschiedener Phasen des Römischen Reichs oder um den von Europa ausgehenden Kolonialismus und Sklavenhandel oder um die inner-europäischen Auseinandersetzungen geht, entscheidend sind nicht so sehr die genauen Daten von Thronbesteigungen und Schlachten, sondern die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe. Demokratische und soziale Bewegungen waren immer im Wettstreit mit autoritären und rein auf Profit und Macht orientierten Kräften.
Soziale Medien
Was jeder Unterricht und jeder Versuch, Demokratie zu fördern, zur Kenntnis nehmen muss, ist die neue Informations- bzw. Desinformationslage. Nachdem zuerst die Sozialen Medien als Befreier und als Instrument des Widerstands gegen autoritäre Systeme und überkommenen Strukturen angesehen wurden, hat sich das zum Teil ins Gegenteil verkehrt. Eine über das Ziel schießende Kultur der „wokeness“ und der politischen Korrektheit hat sicher dazu beigetragen, dass der Widerstand gegen die progressiven Kräfte, also jener Kräfte, die sich für die sexuellen und anderen Minderheitsrechte und vor allem für Asylbewerber einsetzten, einen wachsenden Anklang gefunden haben. Besonders fällt dabei auf, dass in letzter Zeit auch die jüngeren Bevölkerungsschichten, von denen die Progressiven geglaubt haben, sie stünden auf ihrer Seite, sich auch vielfach nach Rechts bewegt haben. Und dasselbe galt für die Wähler*innen aus den Minderheiten in den USA.
Interessant ist auch, dass die Wählerinnen und Wähler - in den USA wie in Europa - dabei in Kauf nehmen, dass die ökonomische Elite - ganz stark ist das in den USA zu bemerken - eine kaum noch dagewesene Macht zugeordnet bekommen. Die liberale gesellschaftspolitische Elite, die von nationalistischer Seite oft als - kosmopolitisch bzw. vaterlandslos - kritisiert wurde, wird durch eine nun wirkliche weltweit agierende Tech-Elite abgelöst bzw. in tatsächliche Macht gebracht.
Etwas muss schief gelaufen sein, wenn sich Menschen, vor allem auch in der Europäischen Union, die mit dafür gesorgt hat, dass Länder, die sich über Jahrhunderte bekriegt haben, seit 80 Jahren friedlich zusammenarbeiten, eben gegen diese Union bzw. deren Grundsätze aussprechen. Ja, sie werden aufgehetzt und mit falschen Informationen gefüttert, aber erst seit einiger Zeit kommt es zu einer wachsenden Animosität gegen über der Europäischen Einigung.
Allerdings ist die Auswirkung der sozialen Medien mit ihren Algorithmen, die die negativen Meldungen und Skandalisierungen begünstigten und nun unter weitgehender Kontrolle von nationalistischen und oligarchischen Kräften stehen, sicher ein erst seit einigen Jahren stark wirksamer Faktor. Interessant ist, dass die stärkere Nutzung der sozialen Medien von einer zunehmenden Isolierung gerade auch junger Schichten begleitet wird. Zwar gibt es ein Mehr an Kontakten und dies auch zu mehr Menschen, diese sind aber oft oberflächlich und viele bewegen sich in einer Blase ohne wirklichen Meinungsaustausch. Man sucht diejenigen, durch die man sich bestätigt fühlt bzw. wird mit einer Unzahl von „Informationen“ bombardiert, die man kaum auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen kann. Nach vielen Untersuchungen nehmen die persönlichen und zufälligen Kontakte ab. Derek Thompson hat darüber - für die USA ausführlich in „The Atlantic“ unter dem Titel „The Anti-Social Media“ geschrieben.
Demokratische Erziehung
Vielleicht sehen wir nun das kumulative Ergebnis von mehreren Faktoren, die jüngst das Fass zum Überlaufen brachten. Wie dem auch sei, es ist kaum anzunehmen, dass sich die Dinge rasch ändern. Was wir aber brauchen ist ein System der Erziehung und Bildung, das junge Menschen zu kritischen Bürgern und Bürgerinnen erzieht. Im umfassenden Sinn geht es um die Etablierung eines demokratischen Bildungssystem. Dabei müsste es im doppelten Sinn demokratisch sein, in der Form und in den Inhalten. Demokratisch heißt dabei nicht, dass sich die Schüler und Schülerinnen aussuchen und abstimmen können, ob und was sie lernen wollen. Es geht vielmehr darum, sie als Beteiligte eines gemeinsamen Lernprozesses anzusprechen. Auch das Berufsleben wird immer mehr ein solcher gemeinsam zu gestaltender Prozess sein. Anderseits geht es darum den jungen Menschen zu ermöglichen und sie dabei zu ermuntern, ihre Persönlichkeit zu entfalten.
Dabei unterscheidet Joel Westheimer von der Universität Ottawa, der kürzlich auf einer Tagung der Central European University in Wien sprach, drei mögliche und vereinbare Entwicklungsziele. Einerseits geht es um die Erziehung zu einer persönlich verantwortungsvollen Persönlichkeit - personal responsible citizen. Dann aber geht es darum eine Persönlichkeit zu entwickeln, die auch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen will, durch Beteiligung an Wahlen aber auch darüber hinaus - participatory citizen. Und zuletzt wäre es erstrebenswert Menschen heranzubilden, die sich für die Ursachen an Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft interessieren und diese erkunden und wenn möglich auch ändern wollen - justice oriented citizen. Nach Westheimer ist es dieser Mensch, den das Erziehungs- und Bildungssystem im Auge haben soll und dem es helfen soll, dass er auch für mehr Gerechtigkeit eintritt. („What kind of Citizens? Educating our Children for the Common Good“, 2024)
Dabei geht es nicht darum mit Überheblichkeit und Dogmatik den gesellschaftlichen Problemen und den Menschen, die sie verursachen, gegenüberzutreten. Dies ist auch umso leichter, umso mehr der an Gerechtigkeit interessierte Mensch erkennt, dass er selbst aus verschiedenen „Selbsts“ besteht und nicht nur aus einem homogenen und altruistischen Selbst. Die eigene Widersprüchlichkeit kann helfen sie auch in anderen zu erkennen und auch ein gutes Stück zu akzeptieren.
Der ehemalige deutsche Kulturminister und Professor für Philosophie und Politische Theorie, Julian Nida-Rümelin, meinte kürzlich in der Süddeutschen Zeitung: „Gegenwärtig ist die Demokratie auch deshalb bedroht, weil es in ihr zu wenig Zentristen gibt. Zu viele sind von der Richtigkeit ihrer Meinung so überzeugt, dass sie jede kritische Diskussion für überflüssig halten.“ Was es braucht, sind Menschen, die „eine Realpolitik der ökonomischen und sozialen Kooperation nach innen und eine Realpolitik des Interessenausgleichs zwischen Nationalstaaten nach außen“ vertreten. Auf die Migrationsproblematik angewandt meint Nida-Rümelin: „Eine zentristische Migrationspolitik nimmt die Sorge der Bevölkerung ernst, dass eine ungesteuerte Einwanderung die sozialen Sicherungssysteme und den kulturellen Zusammenhalt gefährden. Zentristen spielen soziale Sicherheit aber nicht gegen ökonomische Dynamik aus.“(Süddeutsche Zeitung, 9.2.2025)
Jetzt stellt sich aber die Frage auf welche Hindernisse eine solche Orientierung und speziell eine Erziehung in Richtung einer zentristischen bzw. pragmatischen und diskussionsbereiten Haltung stößt. Die gerade auch von Jüngeren benutzen Social-Media-Kanäle wie TikTok und ähnliche propagieren ja geradezu das Gegenteil, soweit überhaupt politische Inhalte propagiert und „konsumiert“ werden. Die schon erwähnte gestiegene Isolierung unterstützt diese Haltung. Man braucht nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln auf die Bildschirme der Handy Nutzer schauen. Und wenn eher zufällig politische Aussagen aufkommen, dann werden eher einfache Rezepte gegen all die Übel, die die Menschen heute heimsuchen, propagiert.
Die Erziehung zur Hinterfragung von politischen Aussagen und zur Dialogbereitschaft ist ein dorniger Weg. Und dennoch müsste dieser Weg gegangen werden, soll die Demokratie noch eine Chance haben. Ob, wie zuletzt in Österreich gefordert, ein eigenes Fach „Demokratie“ eingeführt werden soll oder im Rahmen anderer Fächer, vor allem Geschichte, gelehrt werden soll, Demokratie ist ein zentraler Wert, der entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaft ist. Der innere und der äußere Frieden hängen wesentlich davon ab, ob wir demokratische Werte und Verfahren verwenden, um die gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern. Gerade die neuen Technologien, wie Künstliche Intelligenz stellen uns vor besonders schwierigen Aufgaben. Sie führen entweder zu neuen Formen der autoritären Lenkung und Unfreiheit oder zu neuen Chancen, nicht zuletzt im Bildungsbereich selbst.
Der israelische Historiker und Philosoph Yuval Noah Harari hat kürzlich die aktuellen - auch seiner Meinung nach gefährlichen - Veränderungen folgendermaßen zusammen gefasst: „ Die liberale Vision der Welt als co-operatives Netz wird durch ein Mosaik von Festungen ersetzt. Das wird jetzt überall um uns herum verwirklicht - Mauern werden errichtet und Zugbrücken werden hochgezogen. Wenn das so weiter geht werden kurzfristig Handelskriege, ein Rüstungswettbewerb und imperiale Eroberungen die Konsequenz sein. Und zuletzt kommt es zu einem globalen Krieg, dem ökologischen Kollaps und einer außer Kontrolle geratenen Künstlichen Intelligenz.“ (Financial Times, 18.04.2025)
Genau auf diese unterschiedlichen Ansätze und die Gefahren einer Politik der „ rivalisierenden Festungen“muss im Rahmen jeder Politischen Bildung und der Erziehung zur Demokratie hingewiesen werden. Und dann bleibt nur zu hoffen, das sich die Mehrheit der jungen Menschen für die Politik der - nationalen und internationalen - Zusammenarbeit und des Kompromisses entscheiden. Und das ist dann eine Entscheidung für die Demokratie und gegen den Nationalismus.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.