GAZA: AUCH JETZT ÜBER FRIEDEN REDEN

In Zeiten des Krieges vom Frieden zu reden ruft vielerorts Verwunderung und Skepsis hervor. Vor allem mag es die Illusion wecken, Frieden zu schaffen sei eine leichte und kurzfristig zu realisierende Angelegenheit. Dem ist grundsätzlich nicht so und in einem Krieg, der nicht der erste im israelisch-palästinensischen Konflikt ist, gilt das umso mehr.

Vor Illusionen soll man sich hüten. Aber darf man keinerlei Hoffnung haben, dass sich aus dem furchtbaren Massaker des 7. Oktober 2023 doch noch ein - wenn auch lange zu gehender - Weg zu einer Lösung herausschält? Die Hoffnung stirbt zuletzt heißt ein vielfach gebrauchtes Sprichwort. Aber sie sollte überhaupt nicht sterben, auch wenn das einige durchaus wollen und am Tod jeglicher Hoffnung arbeiten. 

Viele israelische Politiker, allen voran Benjamin Netanyahu, arbeiten daran jegliche Hoffnung auf eine Lösung zum Sterben zu bringen. „Hinter mir die Sintflut“ ist eher ihr Motto. Es geht ihnen und speziell Benjamin Netanyahu um persönlichen Machterhalt. Und dabei verbündet sich der Langzeitpremier auch mit rassistisch eingestellten und handelnden politischen Kräften. Diese sind durchaus an Lösungen interessiert, aber für sie bestehen diese in zusätzlichen Landbesetzungen und der Vertreibung von palästinensischer Bevölkerung. Die  New York Times spricht dabei von einem “zynischen politischen Plan” Netanyahus.

Schritte zurück?

Das Massaker vom 7. Oktober und die Art, wie Teile der israelischen Politik reagieren, bedeuten deutliche Schritte zurück. Dabei ist festzuhalten, dass der in der Ära Sharon erfolgte Abbau der israelischen Siedlungen in Gaza keine Entkolonialisierung brachte, denn die „Verfügungsgewalt“ über Gaza und seine Bevölkerung hat Israel nie aufgegeben und auch völkerrechtlich trug Israel weiter die Verantwortung für das Schicksal dieser Region und seiner Bevölkerung.

Daran änderte auch nichts die Parallelverwaltung durch die Hamas. Diese war leider nicht primär daran interessiert die prekären Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Sie sah sich legitimiert einen militärischen Kampf gegen die Besatzungsmacht Israel vorzubereiten. Und zuletzt hatte sie ein besonders grausames Massaker auch gegen die Zivilbevölkerung unternommen. 

Die rechten und rechtsextremen Kräfte in Israel ziehen aus diesen Entwicklungen den Schluss, dass diese rückgängig gemacht werden müssen. Das geht von Ideen einer dauerhafter Sicherheitskontrolle bis zum Plan der Einverleibung des Gazastreifens durch Israel - mit oder ohne Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Diese - durchaus namhaften - Vertreter der Regierung bestätigen damit etwas, was viele Kritiker Israel vorwerfen, nämlich koloniales Verhalten. Allerdings machen viele von diesen Kritikern den fundamentalen Fehler die Gründung Israels bzw. die Existenz des Staates Israel als solches als Akt des Kolonialismus darzustellen. Aber anderseits ist verwunderlich, wie wenig solche klar völkerrechtswidrige Aussagen von israelischen Regierungsvertretern zurückgewiesen werden. 

Welchen Schritt nach vorne?

In den internationalen, aber vor allem israelischen, Debatten, die nach Lösungen suchen, stehen zwei Alternativen im Mittelpunkt. Einerseits wird die Zwei-Staaten-Lösung, wie sie dem ursprünglichen UNO-Beschluss zu Grunde liegt, propagiert. Anderseits taucht immer wieder die Idee eines gemeinsamen israelisch-palästinensischen Staates auf bzw. einer Föderation zweier Staaten mit einigen gemeinsamen Institutionen.

Die offizielle Position der EU, wie sie insbesondere der EU-Außenbeauftragte Josip Borrell vertritt, und die Position der USA-Regierung orientiert sich eindeutig an der Zwei-Staaten-Lösung. Das ist im Übrigen auch die offizielle Position der Palästinensischen Behörde. 

Einer der intellektuellen Befürworter der Konfliktlösung mittels der Gründung eines palästinensischen Staates ist der prominente Autor David Grossman. In seiner Rede zum „Schwarzen Sabbath“, dem 7. Oktober, fragte er sich noch, ob überhaupt eine gemeinsame Zukunft möglich ist: „Palästinenser und Israelis, beide vom nicht endenden Krieg deformiert, sind nicht einmal fähig verwandtschaftlich miteinander umzugehen - wie sollten sie einander da als siamesische Zwillinge ertragen?“ 

In einem kürzlich erschienen Interview in der FAZ-Sonntagszeitung meinte er dann: „Ich denke mehr noch als zuvor, dass die einzige mögliche Lösung die Zwei-Staaten-Lösung ist“. Auch wenn es „Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern“ wird, bis sich die Menschen von der langen Besatzung und dem Massaker vom 7. Oktober erholen werden. Grossman geht es aber auch um ein neues Israel. Denn seiner Meinung nach ist „Israel für uns, die Israelis, immer noch kein Zuhause…Es ist eher eine Festung….Wir müssen Israel als einen reifen demokratischen Staat neu schaffen.“

In diesem Sinn hatte es auch schon vor 10 Jahren Überlegungen im Rahmen eines Projekts des Bruno Kreisky Forums für Internationalen Dialog gegeben. In der entsprechenden Publikation „Rethinking the Politics of Israel/Palestine“ meinte ich in meinem Beitrag:“ It is only within this egalitarian framework of basic social, civil and political rights that we could and should proceed to consider institutional solutions. One such solution could be a two-state federation with some common institutions: from elements of security, water supply, and, especially a joint Human Rights Court that guarantees basic rights to all citizens. A joint court comprising judges from Israel/Palestine and, initially external third party resources could slowly help to indiscriminately implement basic rights for all as well as strengthen the civil society on both sides.“

Klare Ziele und viel Geduld

Jede Lösung des Konflikts, in welcher institutionellen Form auch immer, scheint heute illusionär. Wobei die Zwei-Staaten-Lösung auf Grund des zersplitterten Territoriums, das den Palästinensern zur Verfügung steht, auf besondere Schwierigkeiten stößt. Vor allem durch die Siedleraktivitäten sind die israelischen und palästinensischen Gebiete tief miteinander verzahnt. Aber wie immer wir an die Frage herangehen, Lösungen sind möglich - auch wenn es ein langer Weg bis dorthin ist. Entscheidend sind internationales Engagement sowie fundamentale Änderungen in der Politik der betroffenen Staaten/Völker aber auch in den betreffenden Gesellschaften. 

In der israelischen Gesellschaft hat sich in den Monaten seit der Gründung der rechtsextremen und religiös-fundamentalistischen Regierung viel bewegt. Der Widerstand der Zivilgesellschaft brachte den Anschlag der Regierung auf das Rechtssystem zu Fall. Noch regiert Netanyahu in einer „Regierung der Nationalen Einheit“. Aber diese Einheit gibt es vielfach nicht und viele setzen auf seine Ablösung nach Ende des Krieges. Allein das kann schon ein Grund für Netanyahu sein, den Krieg in die Länge zu ziehen. Aber inzwischen scheint der Widerstand gegen seine Art, das Land in die Irre zu führen, zu wachsen. 

Leider finden sich auf der palästinensischen Seite keine entsprechenden Bewegungen. Auch dort gibt es vereinzelte Stimmen des Widerstands gegen die autoritäre politische Führung.  Die wurden allerdings oft gemeinsam von israelischen und palästinensischen Sicherheitsbehörden unterdrückt. Es wäre gut, wenn von internationalen Bewegungen, die ihre Solidarität mit den Palästinensern zum Ausdruck bringen, auch an die palästinensische Seite die Aufforderung gerichtet werden würde, eine Diskussion über alternative Lösungen des Konflikts zu führen.

Die israelische Besatzung sollte nicht dafür herhalten, sich keine Gedanken über eine realistische Konfliktlösung machen zu müssen. Es sollte auch vermehrt Überlegungen geben wie die eigenen Unfreiheiten und Rückständigkeiten überwunden werden können. Es ist schon grotesk, wenn einige die grundsätzliche Solidarität mit den Palästinensern als antisemitisch brandmarken und anderseits manche dieser Sympathisanten sich nicht zu einer klaren Verurteilung der Hamas bzw. zur Kritik an der Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde aufraffen können. 

Dabei müssen auch überzeugende Konzepte zu Sicherheit für alle in der Region angeboten werden. Und da sind neben der palästinensischen Politik auch die arabischen Nachbarn gefragt. Dabei sollten die Europäer ihre eigene Verantwortung für den Konflikt im Nahen Osten nicht an die arabischen Staaten anschieben. Sie haben schon seit der Gründung Israels ihre Verantwortung für die ungelöste Situation aber die teilen sie mit den Europäern. Allein im Interesse der Sicherheit, des Friedens und der Entwicklung der gesamten Region sollten sicher auch die arabischen Nachbarn einen Beitrag leisten. 

Die zweifelhafte Rolle der USA

Selbstverständlich geht nichts ohne die USA, die leider immer wieder gezögert haben, eine konsequente Friedenspolitik zu vertreten. Eine solche wäre aber zentral für die Entwicklung des Nahen Ostens. Aber es muss sich um eine Friedensstrategie handeln und nicht um die Fortsetzung des Versuchs den Weltpolizisten zu spielen. Wenn kürzlich Peter A. Fischer in der NZZ meinte „…je mehr die USA in ihre Rolle als Weltpolizist zu investieren bereit sind, umso ruhiger und friedlicher wird die Zukunft werden…“ dann liegt er besonders hinsichtlich des Nahen Osten falsch.

Weder die militärische „Intervention“ im Irak noch der „maximale Druck” von Präsident Trump und die Aufkündigung des Atomabkommens JCPOA mit dem Iran haben zum Frieden beigetragen. Und auch die einseitigen Attacken auf die Huthis im Jemen werden Frieden bringen. 

Sicher ist die sogenannte Achse des Widerstands, die der Iran mit der Hisbollah und anderen Milizen in der Region bildet, ein großer Störfaktor für den Weg zum Frieden. Aber da braucht es eine vernünftigere Strategie, die vor allem mit den Ländern und gesellschaftlichen Gruppierungen der Region entwickelt werden muss, die unter dieser Achse leiden. Und einer der Faktoren, die dieser Achse als Argument für ihren - bewaffneten - Widerstand dienen, muss behoben werden, und das bedeutet den langen Weg zur Lösung des Palästina-Problems beginnen zu gehen.

Wenn die USA vorwiegend in militärischen Kategorien denken, dann verstricken sie sich immer mehr in einen neuen aussichtslosen Konflikt. Wie das ins Chaos führt hat gerade auch Netanyahu gezeigt. 

P. S. Wenige Tage nach dem Verfassen dieses Blogs fiel mir in einer Wiener Französischen Buchhandlung das neue Buch von Shlomo Sand in die Hand: „Deux Peuples pour un Etat“. Darin zitiert der - wenngleich umstrittene - israelische Wissenschaftler viele Aussagen von jüdischen Verterter*innen - auch des Zionismus -, in denen auf die Problematik einer Landnahme des schon besiedelten palästinensischen Gebiets hingewiesen wird.

Diese Liste reicht von Gershom Scholem, Martin Buber, Leon Magnes und Hannah Arendt bis zu Avraham B. Yehoshua. Auch manche Politiker erkannten und erwähnten das große Konfliktpotential. Aber die meisten von ihnen setzen sich über diese Bedenken hinweg und waren nicht bereit nach friedlichen Lösungen zu suchen. Leider machten es ihnen auch viele arabische Führer durch ihr aggressives und militanten Verhalten leicht, sich nicht um eine Konsenslösung zu bemühen.

Netanyahu und seine noch extremeren Koalitionspartner wollen noch weniger als ihre Vorgänger Frieden. Sie nützen alles aus um ihre Macht nicht nur zu erhalten sondern auch auf Kosten der Palästinenser auszudehnen. Und dennoch dürfen wir die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben nicht aufgeben - in welcher institutionellen Form auch immer.

Und persönlich träume ich wie auch Shlomo Sand von der Schaffung eines binationalen States: “mit einer gemeinsamem Souveränität und Staatsbürgerschaft, aber parallel dazu partikularer kultureller und sprachlicher Eigenheiten, autonomer Verwaltungen...“

Träume sind nichts für die unmittelbare Zukunft aber sie geben Hoffnung den sterilen, engstirnigen und todbringenden Nationalismus zu überwinden. Und solche Träume muss man auch dem Terrorismus der Hamas entgegen setzen. Waffen allein werden den Konflikt nicht lösen. Und die Parole müsste lauten: „From the river to the Sea - all people will live in peace and be free“.


Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IIP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 and then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.