Buchbesprechung: "The Room where it happened: A White House Memoir" - John Bolton

„Im Führersitz“

Der Rechtsanwalt John Bolton hatte hohe politische Funktionen in allen republikanischen Regierungen seit Ronald Reagan inne. 2005/6 war er Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen, als er schon klarmachte, dass er nicht viel von der multilateralen Organisation hielt, hatte sie doch den Irakkrieg von George W. Bush nicht gebilligt. Donald Trump machte ihn 2018 zum Nationalen Sicherheitsberater, ließ ihn aber 2019 wieder fallen. Das Buch verdeutlicht warum. Bolton wollte nicht nur Teil der Regierung sondern der Fahrer sein (3). Das konnte sich ein Präsident Trump aber nicht gefallen lassen.

Angriff auf den Iran

Diese Differenz spitzte sich insbesondere zu, als Bolton Trump drängte, einen Krieg mit dem Iran zu beginnen und Trump immer wieder zögerte. Die beste Gelegenheit für Trump dafür wäre der Abschuss einer US-Aufklärungsdrohne durch den Iran gewesen. Bolton war schnell, den Präsidenten darüber zu informieren, dass der Abschuss über internationalem Luftraum erfolgt sei, obwohl das keinesfalls eindeutig ist. Bolton war schon enttäuscht, als nur drei Ziele an der Küste für eine militärische Reaktion ausgewählt wurden. Die Entscheidung des Präsidenten, den Militärschlag im letzten Moment zurückzuziehen, bezeichnete Bolton dann als „bizarr“ und „irrational“ (403, 406) und Trumps Verhalten als „erratisch“ (414). Damit reiht sich Bolton ein in diejenigen US-Sicherheitsberater, die ihre Präsidenten auf Gewalteinsatz gegen als nicht US-freundlich eingestuften Regierungen drängten. Erfolgreich war Henry Kissinger beim Putsch gegen den gewählten Präsidenten Chiles Salvador Allende 1973; nicht so erfolgreich war Zbigniew Brzezinski, der Druck auf Präsident Carter ausübte, einen Militärputsch im Iran zu unterstützen, um dem Sturz des US-freundlichen Schah im Iran 1979 zuvorzukommen. Bolton macht auch klar, dass „Regime Change“ nicht dasselbe sein muss wie Demokratisierung (419).

Trump begründet seine Entscheidung damit, dass es im Verhältnis zum Abschuss einer Drohne mit 150 geschätzten iranischen Opfern zu viele Tote gegeben hätte. Bolten versuchte, Trump noch umzustimmen, indem er diese Zahl als rein fiktiv darstellte. Tatsächlich dürfte Trump aber die Befürchtung gehegt haben, dass ihm ein Krieg vielleicht die Wahl gekostet hätte, was ihm der FOX-News Moderator Tucker Carlson eingeredet haben dürfte. An Wählerstimmen musste Bolton ja nicht denken, was er deshalb im Buch auch nicht ansprach.

Sonst hält sich Bolton zu Gute, dass er Trump davon abgehalten habe, mit dem iranischen Außenminister Zarif zu sprechen, als dieser auf Einladung des französischen Präsidenten Macron beim G7 Gipfel in Biarritz war (421). Darüber hinaus freute er sich, als Trump den offiziellen außenpolitischen Vertreter des Iran auf die Liste der zu sanktionierenden Personen setzte (410). Zu erwähnen wäre auch noch, dass Bolton hier immer im Tandem mit Außenminister Pompeo handelte. Boltons Besessenheit mit dem Iran macht deutlich, dass es ihm und auch Trump längst nicht mehr um Irans Nuklearprogramm und das Nuklearabkommen (JCPOA) sondern um den Iran selbst ging.

Rebellion gegen Maduro

Bolten bedauert, dass es der Trump-Administration nicht gelungen sei, Nicolas Maduro abzusetzen (247), um aber gleichzeitig zu betonen, dass die Rebellion sehr nahe am Erfolg war. Bolton räsoniert, dass bei passenden Umständen das Militär durchaus in der Lage wäre, ein Regime zu stürzen – „und nicht nur das von Maduro“ fügt er hinzu (285). Er skizziert ein Szenario, in dem ein Befehl, die Opposition zu unterdrücken, zum Bürgerkrieg führen könnte, in dem die meisten regulären Streitkräfte höchstwahrscheinlich die Opposition gegen Geheimpolizei, Milizen und eine kubanisch gesteuerte Zivilgesellschaft unterstützen würde. Bolton gibt aber zu, dass dieses Szenario die Situation in Venezuela noch verschlechtern könnte. Nichtsdestoweniger befürwortete Bolton Senator Marco Rubios Angebot, dem Kommandeur der venezolanischen Armee Suarez Chourio, dem Verteidigungsminister Padrino und weiteren Armeeangehörigen Amnestie zu gewähren, wenn sie zur Opposition überlaufen würden. Um Präsident Maduro in die Zwickmühle zu bringen, wurde der Plan entworfen, mit Forderung nach humanitärer Hilfe die Öffnung der Grenzen zu „erzwingen“ (263-264). Damit sollte der Opposition, inklusive dem selbsterklärten Präsidenten Guaidó, Grenzüberschreitungen erleichtert werden. Ungeachtet der Tatsache, dass die humanitäre Lage in Venezuela weiterhin schlecht ist, verschwand sie aus den internationalen Medien, nachdem der politische Zweck nicht erreicht worden war.

Präemptiver Militärschlag oder Regime Change in Nordkorea

Die Antwort John Boltons auf das Nuklearwaffenprogramm Nordkoreas war - nicht überraschend – vorerst militärisch. Er legte dem Präsidenten dar, „warum und wie ein präemptiver Militärschlag gegen Nordkoreas Nuklear- und Raketenprogramme funktionieren würde“ (29). Massive konventionelle Bombardierung von Pjöngjangs Artillerie nördlich der demilitarisierten Zone wäre dazu notwendig. Auf seine Frage schätzte der Präsident die Chance eines Krieges mit Nordkorea mit 50 zu 50 ein. Die Alternative wäre eine Wiedervereinigung der Halbinsel unter südkoreanischer Führung oder ein „Regime Change“, wozu aber die Zustimmung Chinas erforderlich wäre. Natürlich war Bolton „zu Tode betrübt“ über Trumps Wunsch, Nordkoreas Führer Kim Jong Un zu treffen. Lieber wäre ihm das „Libysche Modell“ gewesen, das nur sechs bis neun Monate gedauert hat, die libyschen Nuklearaspirationen abzuschaffen. Dazu ist anzumerken, das Libyen niemals ein funktionierendes Nuklearwaffenprogramm zustande brachte. Trump allerdings lehnte ab, weil Muhamad Gaddafis sieben Jahre später gestürzt und umgebracht wurde. Bekanntlich brachten weder der Gipfel zwischen Kim und Trump von Singapur noch der von Hanoi die erhoffte Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel. Grund genug für Bolton, Trump vorzuwerfen, zum Schaden Amerikas sinnlos an Kim Jong Un festzuhalten.

Das Ende des INF-Vertrages! Und von START?

Nukleare Rüstungskontrolle ist für Bolton ein weiterer Dorn im Auge. Seit er in der Regierung George W. Bush (2001-2007) gedient hat, wollte er aus dem Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen (INF) von 1987 aussteigen. Nach Vorwürfen, Russland verletze den Vertrag, gelang es schließlich, Trump dazu zu bewegen, sich 2019 aus dem Vertrag zurückzuziehen. Der Vertrag würde auch nur zwei Länder binden. Überdies schien auch der russische Präsident Vladimir Putin das Interesse am INF-Vertrag verloren zu haben. Er hätte Bolton gegenüber im November 2018 zu verstehen gegeben, dass er die Argumente und die Logik den INF-Vertrag zu verlassen, insbesondere im Hinblick auf die gemeinsame Ansicht über China, verstünde (171). Dazu kämen neue technologischen Entwicklungen seit 1987, wie der russische Verteidigungsminister Sergei Shoygu schon im Vorfeld dieses Gesprächs anmerkte. Ähnliches Desinteresse hätte Putin schon erkennen lassen, als die USA das Nuklearabkommen mit dem Iran (JCPOA) verließen, obwohl Russland daran festhalten wollte, wie der Präsident laut Bolton anmerkte. Aber auch immer mehr NATO-Verbündeten hätten nach Überzeugungsarbeit die US-Logik verstanden, wie ihm der NATO-Generalsekretär Stoltenberg versicherte, obwohl einige Bedenken geäußert hätten, dass sie die Mittelstreckenraketen auf Ihrem Territorium stationieren müssten (165, 170-171). Allerdings verstand Stoltenberg anfänglich nicht, was „material breach“ Russlands bedeuten würde. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkl wollte zwei Monate Zeit zur politischen Vorbereitung der Entscheidung über den Rückzug der USA aus dem Vertrag, die schließlich für den 1. Februar 1019 angekündigt wurde.

Ein ähnliches Schema wollte Bolton für den neuen START-Vertrag über die Beschränkung von Interkontinentalraketen anwenden. Er erklärte seinem russischen Gegenüber Nikolai Patrushev 2018, dass es unwahrscheinlich sei, dass die USA den Vertrag, der 2010 unter Präsident Obama vereinbart wurde, 2021 weitere fünf Jahre verlängern würde – darauf aufbauend, dass Russland wenig Widerstand entgegensetzen würde. China und auch taktische Nuklearwaffen würden darin ja nicht berücksichtigt. Bolton wusste wohl, dass all diese Dimensionen einzubeziehen, nicht möglich ist.

Gegen jeglichen Multilateralismus aber geopolitischer Konflikt

Bolton ist prinzipiell Gegner von multilateralen Abkommen. Deshalb sei der Rückzug der Unterschrift der USA unter den umfassenden nuklearen Teststoppabkommen (CTBT) eine Priorität. Die Liste von anderen Abkommen, die die USA verwerfen müssten, sei lang, inklusive der Seerechtskonvention – bei der die USA nicht einmal Partei ist!

Das 21. Jahrhundert wird nach Bolten von den wirtschaftlichen und geopolitischen Beziehungen zwischen Amerika und China bestimmt werden. Trump würde sich weigern, Chinas Verhalten ernst zu nehmen (318). Das ist eine Aussage, die Trump mit seiner aggressiven Rhetorik gegenüber China mittlerweile Lügen strafte.

Radikale Falken im Weißen Haus

Bei allen wichtigen außenpolitischen Themen offenbarte sich der Nationale Sicherheitsberater John Bolton als radikaler Falke. Er machte Druck für eine Militärintervention im Iran, er spekulierte mit einen Militärschlag auf Nordkorea und der Machtübernahme des Militärs in Venezuela, er befürwortete den Rückzug der USA aus allen bilateralen Rüstungskontrollverträgen und multilateralen Abkommen, und er warf Trump vor, gegenüber China zu nachgiebig zu sein. Mit Abgang Boltons verschwinden diese Positionen aus dem Weißen Haus aber nicht; sie werden unter anderem weiterhin von Außenminister Mike Pompeo vertreten.

Picture: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/35/John_Bolton_%2840486320231%29.jpg


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Univ. Prof. Dr. Heinz Gärtner ist Lektor an den Universitäten Wien und Krems sowie Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) sowie des Beirates Strategie und Sicherheitspolitik der Wissenschaftskommission des Österreichischen Bundesheeres. Bis Ende 2016 war Heinz Gärtner wissenschaftlicher Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik. Er hatte zahlreiche internationale Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren. Er publizierte zahlreiche Bücher und Artikel zu Fragen der USA, internationaler Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle. U. a. ist er Autor des Buches „Der Kalte Krieg“, marixwissen, 2017.