EUROPA, USA UND DER FRIEDE

Friede in Bosnien? Friede in der Ukraine?

Dieser Tage vor 30 Jahren wurde durch das Abkommen von Dayton der Bosnien-Krieg beendet. Hätte es aber überhaupt zum Krieg kommen müssen? Der „Hauptarchitekt“ des Dayton Abkommens, Richard Holbrooke, meint in seinen in Buchform erschienenen Erinnerungen „Meine Mission“ (München 1988): „Die Tragödie in Jugoslawien war nicht vorherbestimmt. Sie war das Produkt machthungriger, teilweise sogar krimineller Politiker, die ethnische Spannungen zu ihrem persönlichen, politischen und finanziellen Vorteil missbrauchten.“ (S. 42) Entschieden lehnt er die These ab, dass nach dem Tod des jugoslawischen Präsidenten die historische Feindschaft zwischen den verschiedenen Ethnien und Religionen automatisch zum Krieg führen musste.

Aber da kam noch etwas anderes hinzu. Die westlichen Mächte waren nicht bereit, rechtzeitig einzugreifen, um einen Krieg zu verhindern. Das betraf insbesondere die Europäer. Dazu meinte Richard Holbrooke, daß diese „vor einem energischen Eingreifen“ zurückscheuten und sie „beschränkten sich darauf, “friedenserhaltende” UN-Truppen in ein Land zu entsenden, in dem es keinen Frieden gab, der erhalten hätte werden können - und ihnen, die für eine Beendigung der Kämpfe notwendigen Mittel- und Machtbefugnisse, vorzuenthalten.“ Holbrooke verschont auch nicht die USA. Er übte vor allen daran Kritik, dass sie „sich verspätet und zögerlich entschlossen, auf dem Balkan zu intervenieren.“ (S. 9)

Das Abkommen von Dayton

Der Weg zum Abkommen von Dayton war ein schwieriger. So gab es unterschiedliche Auffassungen zwischen den verschiedenen Europäischen Vertretern einerseits und den USA anderseits. Holbrooke erinnerte in diesem Zusammenhang an das Wort von Henry Kissinger, der nach der Telefonnummer der Europäer fragte. „Zwanzig Jahre später war Kissingers sarkastische Frage, trotz häufiger Lippenbekenntnisse der EU zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungs- und Außenpolitik, immer noch relevant.“ (S. 373)

Immerhin die Verhandlungen zu einem Friedensabkommen mit den beteiligten Kriegsparteien wurden von den USA und Europa und den - damals noch an konstruktiven Gesprächen interessierten - Russen gemeinsam geführt. Dieser gemeinsame Druck - aber nicht zuletzt auch die von den USA ausgeübte Gewalt mittels Bomben - auf den bosnisch-serbischen Aggressor haben die Parteien zum Einlenken gebracht. So kam es Ende 1995 zu einem Abkommen, das den Krieg beendete, aber einen nur prekären Frieden in einem nach ethnischen Grundsätzen geteilten Land brachte.

Noch heute wird der gemeinsame Staat Bosnien-Herzegowina insbesondere von den Vertretern der serbischen Teilrepublik - Republika Srpksa - in Frage gestellt. Federführend dafür war und ist der Putin Freund, Milorad Dodik. Aber auch die nationalistische Orientierung der maßgebenden politischen Repräsentanten der Bosniaken und der Kroaten dienen nicht der Einheit des Landes. Das Abkommen von Dayton hat jedenfalls viele Fragen offengelassen. Leider gab es zwar einige positive Änderungen in Richtung mehr Gemeinsamkeit, aber keine durchgreifenden Reformen, um einen handlungsfähigen und „europareifen“ Staat zu schaffen.

Damit ist aber Bosnien-Herzegowina weit abgeschlagen, wenn es um Verhandlungen mit der EU um die zukünftige Mitgliedschaft geht. Immer wieder kommt es zu internen Konflikten und unterschiedlichen Empfehlungen der einzelnen EU-Mitgliedsländer, wie streng man mit den Verletzungen des Abkommens von Dayton bzw. mit jenen politischen Kräften umgehen soll, die Fortschritte auf dem Weg zur EU blockieren. Bosnien bleibt auch 30 Jahre nach dem Abkommen von Dayton ein Konfliktherd am Balkan.

Und kommt jetzt der Friede in der Ukraine?

Zu Ende seines Buches schreibt Richard Holbrooke, dass wir viele weitere Konflikte erleben werden „in denen eine frühe Intervention von außen entscheidend sein kann und die eine amerikanische Führungsrolle erfordern.“ (S. 566) In der Tat es sind wieder die USA, die die Führungsrolle im „Friedensprozess“ in der Ukraine übernommen haben. Manches ist ähnlich, vieles unterscheidet allerdings die Gespräche der USA mit den heutigen Kriegsparteien von den Gesprächen und Verhandlungen bezüglich Bosnien.

Aber zuerst sollten wir nochmals auf die Frage zurückkommen, ob der Krieg nicht zu verhindern war. Wieder muss man feststellen, dass der Krieg nicht unvermeidlich war. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich Ukrainer und Russen sich nicht verstehen können. Putin meinte sogar in seinem viel zitierten Dokument aus 2021 „Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern“, dass Russen und Ukrainer ein Volk darstellen. Daraus leitete er dann aber das Recht Russlands ab, die Ukraine gewaltsam zu besetzen und zu annektieren.

Manche meinen, hätte der Westen auf die Erweiterung der NATO verzichtet, hätte der Krieg vermieden werden können. Aber andere wieder meinen, dann hätte Putin schon früher und vielleicht auch andere Länder, zum Beispiel aus dem Baltikum, angegriffen. Abgesehen von dieser nicht ehrlich zu beantwortenden Frage, würde ich argumentieren, dass der Westen schon bei der ersten direkten Aggression, der Besetzung der Krim, reagieren hätte sollen. Wieder kam der Westen zu spät und handelte zu zögerlich. Die Nicht- Reaktion war jedenfalls für Putin eine „Einladung“ die Planungen für die Besetzung der ganzen Ukraine in Angriff zu nehmen.

Der Westen hat dann auf die am 24.2.2022 gestartete Besetzung der Ukraine klar reagiert. Das hat viele in Europa und vor allem auch in Russland überrascht. Die Reaktion war jedoch angesichts der sich steigernden Angriffe Russlands relativ zurückhaltend. Vor allem die USA wurden nach dem Wahlsieg von Donald Trump zunehmend zögerlich. Den großspurigen Ankündigungen Trumps, den Ukraine Konflikt in kürzester Zeit zu beenden, folgten immer wieder enttäuschende Aussagen und ein groteskes Treffen zwischen Trump und Putin in Alaska. Zuletzt überraschte Trump mit einem 28 Punkte Plan, zu dem er ultimativ die Zustimmung der Ukraine - und der Europäer verlangte.

Dieser Alleingang vom Trump steht im Widerspruch zur Vorgangsweise früherer Konfliktlösungen, vor allem wenn es um europäische Konflikte ging. Wie oben demonstriert, hatten im Falle des Bosnien Krieges die USA die Verhandlungen gemeinsam mit den Europäern geführt. Washington hatte dabei eine Führungsrolle - nicht zuletzt auf Grund der Schwäche und der Uneinigkeit der Europäer selbst. Diesmal zeigt sich besonders deutlich, dass die USA weder ein Interesse für eine europäische Beteiligung noch ein Gefühl bzw. ein besonderes Interesse für die spezifischen historischen Verhältnisse in Europa aufbringen. Bei der gegenwärtigen Administration in Washington kommt hinzu, dass sie ein deutliches Desinteresse an der Beachtung und der Durchsetzung der humanen Werte und des internationalen Rechts haben.

Immer wieder werde ich gefragt, warum denn nicht die Europäer selbst die Initiative für Friedensgespräche ergriffen haben. Dabei wird übersehen, dass Russland kein Interesse und keinerlei Bereitschaft an solchen Gesprächen hatte. Putins Krieg gegen die Ukraine ist ja auch einer gegen Europa, jedenfalls in seiner hybriden Form. Man muss sich nur die verschiedenen abfälligen und aggressiven Äußerungen von Putin und seinen Lakaien über Europa und seine Werte zu Gemüte führen.

Das Verhältnis Russlands gegenüber den USA ist ein ganz anderes und seit Trump sogar manchmal eines des gegenseitigen Verständnisses. Ideologisch stehen sich Trump und Putin ungleich näher als Putin und die Europäer - mit Ausnahme der europäischen Rechtsextremen. All diese Kräfte - Putin, Trump und die europäische nationalistische Rechte - haben kein Interesse an einem starken, gemeinsamen Europa. Im Gegenteil sie wollen es schwächen. Die EU war jedenfalls für Russland kein akzeptierter Dialog- und Verhandlungspartner. Unbeschadet dessen, waren auch manche europäischen Politiker und Politikerinnen gar nicht an Friedensgesprächen interessiert. Aber deren Desinteresse war nicht ausschlaggebend für die mangelnden Gespräche zwischen Russland und den Europäern.

Frieden oder Appeasement?

Für jeden unvoreingenommen Beobachter und politischen Akteur war bald klar, dass ein Frieden in der Ukraine nur durch Kompromisse zu erreichen sein wird. Schon früh war offensichtlich, dass es seitens der Ukraine zu territorialen Abtretungen an Russland und zu einem Verzicht eines NATO-Beitritts kommen wird müssen. Daher war seitens der „Realisten“ oft davon die Rede, dass Russland nicht gewinnen dürfe und nicht, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse. Was aber Trump in seinem 28 Punkte Plan vorgelegt hat, ist eindeutig eine Belohnung des Aggressors und eine Bestrafung des Angegriffenen. In dem Sinne ist Russland der Gewinner, auch wenn es das ursprüngliche Ziel der Einverleibung der gesamten Ukraine nicht erreichen würde - jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.

Aber all die Garantien der USA für die Rest-Ukraine, die in dem 28 Punkte Papier nieder geschrieben sind, sind angesichts der Unverlässlichkeit eines Donald Trump nicht viel wert. Die USA haben durch solch einen Friedensvertrag sowohl die Ukraine als auch Europa fallen gelassen. Trump geht es um den Nutzen für die USA und persönliche wirtschaftliche Bereicherung und nicht um einen einigermaßen dauerhaften Frieden in Europa. Wieder einmal ist klar geworden, dass sich Europa für seine Sicherheit nicht auf die USA verlassen kann. Umgekehrt kann sich leider die Ukraine für seine Sicherheit noch nicht auf die Europäer verlassen. Europa braucht noch etliche Jahre, um auf ein Rüstungsniveau zu kommen, das dem der siebziger und achtziger Jahre entspricht. Und das setzt die Ukraine massiv unter Druck dem 28 Punkte Plan zuzustimmen.

Ein Ukraine-Abkommen - ich scheue mich das Wort Friedensabkommen zu verwenden - auf der Basis des 28 Punkte Plans schafft jedenfalls nicht die Voraussetzungen für ein langfristig friedliches Europa und faire Beziehungen mit Russland. Der Aggressor Wladimir Putin kann sich beruhigt zurücklehnen und braucht keine persönliche Verfolgung oder sonstige Nachteile befürchten. Zukünftige Konflikte sind vorprogrammiert. Auch wenn die Rahmenbedingungen und die Größenordnung andere sind, so war es in Bosnien bezüglich des Abkommen von Dayton und so ist es mit der Ukraine, falls es zu einem Abkommen auf der Basis des 28 Punkte Plans kommt.

Vielleicht sind die Ukraine - und Europa - gezwungen, ein solches Abkommen zu akzeptieren. Die EU muss sich aber der Konsequenzen für die Sicherheit bzw. Unsicherheit in Europa bewusst sein. Europa wird besonderes daran arbeiten müssen dafür zu sorgen, dass durch eine Kombination von eigener militärischer Stärke, Rüstungskontrolle und -beschränkungen die Sicherheit in und für Europa gestärkt wird. Das war schließlich das “Rezept”, welches half kriegerische Auseinandersetzungen in Zeiten des Kalten Kriegs in Europa zu verhindern. Das muss jetzt das oberste Ziel europäischer Politik sein.

Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.