UKRAINE KRIEG: KEIN ENDE IN SICHT?

Mary Kaldor, eine der berühmtesten Konflikt- und Friedensforscherinnen meinte unlängst auf einer Tagung in Wien, heute können keine Kriege mehr gewonnen werden. Das gilt insbesondere für - erweiterte - Bürgerkriege wie in Jemen und Äthiopien. In beiden Fällen mischen sich ausländische Staaten in die internen Konflikte ein und verschärfen sie. Aber es gibt am Ende - wie immer dieses aussieht - keine Gewinner. Es profitieren bloß die Waffenlieferanten und sonstige Kriegsgewinner.

 

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat stärker einen klassischen Charakter, obwohl hinsichtlich der östlichen Regionen, vor allem im Donbas und Lushansk auch Elemente eines Bürgerkriegs eine Rolle spielen. Aber in allen Fällen sind Kriege mit dem Tod vieler Menschen - auch aus der Zivilbevölkerung - und mit massiven Zerstörungen verbunden. Nichts wird so wie zuvor. Und je weniger es einen ( oder mehrere ) klaren Gewinner gibt, desto mehr bleiben  die grundsätzlichen Konflikte am Leben. Wir können dies auch an den  andauernden Konflikte am Balkan sehen, zuletzt am wieder aufflammende Konflikt zwischen Kosovo und Serbien, einschließlich der Serben aus dem Norden des Kosovo. 

 

Auch im Falle der Ukraine müssen wir uns auf lange dauernde Konflikte einstellen. Russland und Ukraine bleiben Nachbarn, wie immer ein Waffenstillstand  bzw. wie eine - weit in der Zukunft liegende  - Friedenslösung aussehen mag. Es bleibt aber die entscheidende Frage, wie man zu einem Ende des Krieges also der massiven Kampfhandlungen kommen kann. Denn die Fortsetzung des Krieges bewirkt am Ende des Tages eine weitgehend zerstörte und entvölkerte Ukraine. Das mag Putin nicht sehr stören, obwohl es sich um ein Brudervolk handelt,  wie er in der Vergangenheit  immer betonte. Aber der Europäischen Union kann es nicht egal sein, in welchem ökonomischen und sozialen Zustands sich der, nun auch offizielle, Beitrittskandidat Ukraine nach dem Krieg befindet. 

 

Thomas L. Friedman hat unlängst in der New York Times International drei Wege zum Ende des Krieges skizziert. Der erste Weg wäre ein eindeutiger Sieg der Ukraine. Allerdings könnte das zu noch irrationaleren Handlungen auf Seiten Putins führen und die nukleare Bedrohung erhöhen. Unabhängig davon wird die in Gang gesetzte Mobilmachung eines Teils  der russischen Reservisten den schon von vielen als realistisch gehaltenen Sieg der Ukrainer verhindern. 

 

Der zweite Pfad in Richtung Ende des Krieges wäre ein Waffenstillstand an den gegenwärtigen Frontlinien. Gemäß Friedman wäre das ein „schmutziger Deal“ würde dieser doch Putin einige Erfolge gewähren. Und weder die Ukraine noch große Teile des Westens könnten ein solches Übereinkommen zu Lasten der Ukraine akzeptieren. 

 

Der dritte Weg zu einem Waffenstillstand wäre die Rückkehr zur Ausgangsposition vor dem russischen Angriff. Russland hätte nichts gewonnen. Allerdings hätte die Ukraine große Zerstörungen zu verkraften, ohne an Gebieten etwas zurückzuerhalten. Auch das wäre schwer für die Ukraine und den Westen zu schlucken, zumindest jedoch würden weitere Zerstörungen verhindert  werden. 

 

Es ist logisch, dass die ukrainische Führung und vor allem Präsident Zelensky  die Fortsetzung und sogar die geografische Eskalation des Krieges wünschen. Dann würde sich nämlich der Westen noch mehr engagieren müssen. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass insbesondere die Europäische Union und seine BürgerInnen auch unter den Folgen dieses Krieges leiden. Auch wenn unsere Leiden nicht mit denen der ukrainischen Bevölkerung zu vergleichen sind, sie dürfen von der europäischen Politik nicht vernachlässigt werden. 

 

Die extreme Verknappung und Verteuerung von Energie hat nicht nur für das Wohlbefinden der Menschen sondern auch für die Wirtschaft  und damit die Arbeitsplätze schmerzliche Konsequenzen. Zwar befeuert diese  Verknappung der fossilen Energien den Übergang zu alternativen und nachhaltigen Energien. Aber das dauert etliche Jahre und es kann daher zu großen und langfristigen  Verwerfungen kommen. Vor allem die USA befinden sich in Bezug auf die Energieversorgung in einer viel besseren Lage als Europa. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die USA eher zu den Gewinnern und die Europäische Union zu den Verlierern dieses Krieges gehören werden.

 

Schon aus diesen Gründen muss die Europäische Union eine doppelte Strategie fahren. Einerseits muss sie die Ukraine unterstützen, da eine Niederlage der Ukraine schwerwiegende Folgen für die EU hätte. Erstens würde Russland nicht bei der Ukraine halt machen,  sondern jedenfalls im Baltikum zum Zündeln anfangen bzw. die Cyberattacken verstärken  und diese Länder de-stabilisieren. Und dasselbe gilt für den Balkan. Russland würde versuchen die Europäische Union von den Rändern her - in Verbindung mit rechtsextremen Kräften aus der EU selbst - zu zerstören. Darüber sollte man sich keine Illusionen machen. 

 

Aber anderseits würde auch eine zunehmende Zerstörung der Ukraine und eine Ausweitung von militärischen Operationen in Richtung  Moldavien Europa in weitere Bedrängnis bringen. Vor allem die Rechten in Europa, die zuletzt einige Wahlsiege zu verzeichnen hatten, werden zu Spaltungen in Europe beitragen, wenn sie der Öffentlichkeit vermitteln können, dass die führenden europäischen Kräfte  gar nicht an einem Frieden interessiert sind. 

 

Sicher ist es nicht leicht, eine solche Balance zwischen Unterstützung der Ukraine und Suche nach einem Waffenstillstand zu finden und durchzuhalten. Dabei kann es gar nicht um Gerechtigkeit gehen. Gerecht wäre nur eine Lösung bei der Russland  alle besetzten Gebiete zurückgeben und massive Reparationen zahlen müsste. Das wird nicht zu erreichen sein. Aber durch massive Unterstützung der Ukraine die Russland klar macht, dass es diesen Krieg nicht gewinnen kann, ist es vielleicht möglich Russland zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Dabei sollte man auch jene Staaten mit an Bord holen, die Russland im Sinne eines solchen Kompromisses beeinflussen können. 

 

Selbstverständlich  muss der Westen, vor allem die EU, auch der Ukraine klar machen, dass die Finanzierung des Krieges nicht unbeschränkt weitergehen kann. Es kann nicht allein an der Ukraine und dessen Präsident Zelensky liegen, ob, wie und wann wir zu einem Ende der Kampfhandlungen kommen. Die EU, die diesen Krieg unterstützt und gleichzeitig darunter leidet muss daher mit mehr Selbstbewusstsein auftreten. Nach der Ukraine sind hauptsächlich die Menschen in der EU, die die Konsequenzen des Kriegs zu tragen haben. Daher muss die tatkräftige Unterstützung der Ukraine mit der Suche nach einem Waffenstillstand einhergehen - auch wenn ich mir über die Schwierigkeit einer solchen Doppelstrategie keine Illusionen mache.

Darüber hinaus - auch das fällt schwer ist aber absolut notwendig - sind die Gespräche zur Rüstungskontrolle vor allem hinsichtlich der nuklearen Waffen fortzusetzen bzw. wieder aufzunehmen. Gerade angesichts der nuklearen Bedrohung muss eine verantwortliche Politik reagieren. Ob Putin es ernst meint oder nur blufft, neben klaren Ansagen hinsichtlich Reaktionen auf einen etwaigen Einsatz nuklearer Waffen, braucht es auch Gespräche - auf allen möglichen Kanälen - vornehmlich abseits der Öffentlichkeit. Es geht nicht darum, Angst und Nachgiebigkeit zu zeigen, sondern alles zu unternehmen, um eine nukleare Auseinandersetzung zu verhindern. Der aktuelle Krieg sollte nicht verhindern an die langfristige Sicherheit zu denken.


Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IIP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.