Bosniens Zukunft auf dünnem Eis

Apartheid, Rassismus und das Ende der Demokratie. Wer sich auch nur ein bisschen mit dem Westbalkan beschäftigt wird in den letzten Tagen und Stunden häufig auf diese Wörter stoßen. Aber was genau passiert in Bosnien und Herzegowina (BiH)?

Der Hohe Repräsentant zieht in Erwägung Änderungen am Wahlgesetz durchzuführen. Und zwar so, dass die kroatisch-nationalistische Partei HDZ weitaus mehr Einfluss hätte. Die HDZ hat bei den letzten Wahlen gerade mal 9% eingeholt und blockiert seit Jahren mit ihrer ethno-nationalistischer Politik unter anderem Regierungsbildungen und sorgt für Spannungen im Land.

Grund für diese Entscheidung von Christian Schmidt, dem Hohen Repräsentanten und ehemaligen Landwirtschaftsminister Deutschlands, sollen erhöhter Druck aus Großbritannien und den USA, angeführt von Kroatien und ihrem Präsidenten, Zoran Milanović, sein. Während dem NATO-Gipfel am 7. Juli sei anscheinend der Druck auf Schmidt gestiegen. Denn Kroatien hat angedroht den Beitritt von Schweden und Finnland in das Bündnis mit ihrem Veto zu verhindern und die USA hingegen hat ein großes wirtschaftliches Interesse an dem Land und hat sich hier ihrer Politik gegenüber BiH angeschlossen. Bosnien sei hier nur lediglich ein Mittel zum Zweck. Wie ein Bauer auf einem Schachbrett.

Durchs Hinterzimmer aus Zagreb

Die Inhalte der Änderungen am Wahlgesetz sollen laut investigativ journalistischen Quellen direkt aus Zagreb - und zwar vom kroatischen Außenminister Gordan Grlić Radman - gekommen sein und beinhalten eine Reihe von diskriminierenden und undemokratischen Überarbeitungen an Bosniens politischem System. Grundsätzlich geht es darum der HDZ mehr Sitze im Haus der Völker des bosnischen Parlaments zu sichern. Es ist ein wichtiges Druckmittel der nationalistischen Partei, den mit mehr Sitzen im Parlament können sie auch leichter ein Veto bei Gesetzesentwürfen einlegen. Diese Reform wurde in den letzten zwei Jahren durch Vertreter*innen aus der EU und den USA im Land kommuniziert. Die Verhandlungen sind dieses Jahr aber endgültig gescheitert.

Es soll beispielsweise eine Drei-Prozent-Hürde eingerichtet werden, bei der die Entsendung der Vertreter*innen in das Haus der Völker eingeschränkt wird. In jenen der zehn Kantone, in denen ein Vertreter der drei konstituierten Gruppen - also Kroatien, Serben oder Bosniaken - weniger als drei Prozent hat, kann dieser nicht entsendet werden. Dadurch sichert sich die HDZ mehr Sitze und nimmt eine grundlegend entscheidende Rolle in innenpolitischen Fragen wie der Regierungsbildung ein.

Davon träumt der Nachbarstaat Kroatien schon länger. Milanović hat sich in den letzten Jahren verschärft in politische Angelegenheiten Bosnien und Herzegowinas eingemischt und versucht hier auch die Ideologie der “Herceg-Bosna”, einer dritten Entität neben der Föderation und Republika Srpska, zu fördern. Medien zufolge sollen auch Gespräche abgehört worden sein, in denen kleinere “Gewaltvorfälle” in diesem Landesteil Bosniens angedroht wurden, falls das Wahlgesetz nicht geändert wird.

Abgesehen davon, dass In einem pluralistischen und multi-ethnischen Staat wie Bosnien und Herzegowina die konstituierten Gruppen überall symbolisch wichtig sind, die geplanten Änderungen auch nicht in den Befugnissen des Hohen Repräsentanten stehen. In einem Interview mit dem STANDARD erklärt der Grazer Verfassungsrechtler und Bosnien-Experte Josef Marko die Situation genauer. Die Arbeit die Südosteuropa-Korrespondentin Adelheid Wölfl vom Standard, Politikwissenschaftler Jasmin Mujanović oder das journalistische Medium Istagra leisten, wird in diesen Tagen wieder einmal sehr hervorgehoben. Um einen genaueren Einblick in die Situation zu kriegen, wird empfohlen ihre Beiträge zu verfolgen.

Tausende Protestieren für ihre Rechte

Am 25. Juli versammelten sich laut dem bosnischen Innenministerium über 7.000 Menschen vor dem Büro des Hohen Repräsentanten in Sarajevo und protestierten für ihre Rechte. Mitorganisiert wurde diese Kundgebung von Dervo Sejdić, ein bosnischer Rom der vor 15 Jahren erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geklagt hatte.

In der Klage ging es darum, dass sich Menschen, die sich weder als Kroaten, Serben oder Bosniaken bezeichnen, nicht für das Amt des Präsidenten kandidieren können. Somit darf die jüdische und Rom Minderheit keine adäquate Vertretung in der Politik des Staates haben. Eine schlicht und ergreifend diskriminierende Tatsache, die tief in Bosniens Verfassung - dem Dayton Friedensvertrag - verankert ist. Trotz diesem und 6 weiteren Urteilen vor dem EGMR wurden noch keine Änderungen an der Verfassung wahrgenommen.

Der Protest hat jedoch eine Sache klargemacht: Die Bürgerinnen und Bürger Bosnien und Herzegowinas wollen demokratische Veränderung und sind bereit dafür. Nationalistischer und separatistischer Politik darf keine Bühne mehr geboten werden und die internationale Gemeinschaft soll endlich ihren Teil dazu beitragen und nicht in die Karten dieser Politiker*innen spielen wenn der Druck zu groß wird. Die Rechte von Menschen kann doch wohl nicht ernsthaft hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden.


Dennis Miskic, Austrian Peace Servant at the Srebrenica Memorial Center