DEM FRIEDEN EINE CHANCE - DER MENSCHHEIT EINE ZUKUNFT

Der Club of Rome - Austrian Chapter veranstaltete unter dem Titel „Give Peace a Chance and the World a Future“ eine Jubiläumstagung 50 Jahre nach dem Erscheinen der Studie „Die Grenzen des Wachstums“. Das Jubiläum fiel in eine Zeit, die durch einen Krieg mitten in Europa in größte Unruhe und Unsicherheit gebracht wurde. Und plötzlich war die Herausforderung des Klimawandels und der Energiewende mit den Bemühungen, den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu beenden, miteinander verbunden. Ohne dass die Coronaepidemie schon bewältigt wurde, kamen neue Herausforderungen hinzu. Wieder waren es Krisen, die nicht national gelöst werden konnten, sondern einer europäischen und zum Teil globalen Anstrengung bedurften und bedürfen. 

Ein Buch verändert unser Denken

Vor 50 Jahren erschien ein bahnbrechendes Werk über die „Grenzen des Wachstums“. Es verursachte viele Kontroversen, wie alle wichtigen Bücher. Noch heute streiten sich die Geister darüber - vielfach, ohne es gelesen zu haben. In der Wochenendausgabe der NZZ vom 26.2.2022, einer Zeitung die immer wieder kritische Beiträge zur Klimapolitik und auch zu den „Grenzen des Wachstums“ gebracht hatte, meinte Claudia Mäder: „…das Buch hat eine globale Debatte angestoßen, die unseren Blick auf die Umwelt bis heute bestimmt. Seine Gedanken haben Spuren in Lebensläufen hinterlassen, sie haben sich in Köpfen festgesetzt und in die Politik ausgegriffen. ….Auf jeder Ebene, vom gesamten Planeten bis in die eigenen Gärten, haben „Die Grenzen des Wachstums“ Geschichte geschrieben.“ Jedenfalls handelt es sich nicht um eine Prognose was sein wird, sondern um Hinweise was sein kann, falls es nicht zu Richtungsänderungen in der Politik kommt. Die „Grenzen des Wachstums“ waren und sind eine Warnungsprognose, auch wenn die Warnungen nicht immer gehört oder befolgt wurden.

Die Thesen und Modelle über die Grenzen des Wachstums bekamen vor allem eine Nachfolgediskussion über den Eintritt in eine neue Periode der menschlichen Geschichte, die Paul J. Crutzen und Eugene F. Stoermer das „Anthropozän“ nannten. Diese Periode startete in der Mitte des 18. Jahrhunderts mit einem raschen Bevölkerungswachstum und einer vermehrten Verbrennung von Kohlenwasserstoff und den damit verbundenen Aktivitäten. Dadurch begann der Mensch die Natur wesentlich zu beeinflussen und es wurde die Trennung zwischen der - ohnedies als kaum veränderbar betrachteten - Natur einerseits und der Geschichte der Menschheit anderseits aufgehoben. 

Wenn wir bedenken, dass 1750 die Weltbevölkerung 0,8 Mrd. Menschen umfasste und heute fast 8 Mrd. und dass in diesem Zeitraum die Verbrennung von Kohlenwasserstoff zur Energiegewinnung explodierte, so kann man sich den starken Einfluss der Menschheit auf die Natur gut vorstellen. Im Jahre 2000 schrieben Crutzen und Stoermer: „Die Expansion der Menschheit …ist außerordentlich …Während der letzten 3 Jahrhunderte hat sich die Bevölkerungszahl aufs zehnfache vermehrt, begleitet von einem Wachstum der Viehpopulation auf 1,4 Mrd. In wenigen Generationen wird die Menschheit die fossilen Energien verbrauchen, die über mehrere hundert Millionen Jahre geschaffen wurden.“

Und sie schlussfolgern: „Die Entwicklung einer weltweiten Strategie zur Erreichung eines nachhaltigen Ökosystems wird eine der großen zukünftigen Aufgaben der Menschheit sein.“ Oder wie es einmal der frühere österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky einfach ausgedrückt hat: „Früher hat der Mensch gegen die Natur gekämpft, jetzt muss er gegen das kämpfen was er der Natur angetan hat.“


Unbestritten hat - vor allem in der ersten Auflage des Buches „Die Grenzen des Wachstums“ - die Klimaveränderung keine so große Rolle gespielt wie heute. Ob wir nun die Klimaerwärmung, wie es Dennis Meadows selbst tut, als Symptom bezeichnen oder als selbstständiges Phänomen, sie hängt eng mit dem ungebremsten Wachstum der CO2 Emissionen zusammen. Und sicher ist die geringe Beachtung der Energiefrage die größte Schwäche der Modelle der „Grenzen des Wachstums“. Dennis Meadows gibt das offen zu, das schmälert aber keineswegs seine - und die der anderen Autoren - Verdienste.


Die Energiefrage bekam mit der stärkeren Beachtung der Klimaerwärmung eine entscheidende Rolle. Dramatisch wurde das Energieproblem uns in Europa aber erst mit einem Ereignis vor Augen geführt, das wir für unmöglich gehalten haben, dem Krieg in der Ukraine. Die durch nichts zu rechtfertigende Invasion der Ukraine und die brutale Bombardierung von zivilen Zielen hat nicht nur unermessliches menschliches Leid gebracht, sondern auch wirtschaftliche Verknüpfungen zerstört, die als dauerhaft und gesichert galten. 

Führt wirtschaftliche Vernetzung zum Frieden?

Der Wiederaufbau von Europa nach dem Zweiten Weltkrieg war durch das Bestreben gekennzeichnet innerhalb des freien Europas durch wirtschaftliche Verknüpfungen Kriege unmöglich zu machen. Mehr und mehr versuchte auch der Westen, vor allem Deutschland, aber auch Österreich, eine wirtschaftliche Vernetzung mit dem Osten Europas und vor allem mit der Sowjetunion als friedensstiftend zu betrachten. Die Vereinbarungen von Helsinki im Rahmen der KSZE Konferenz und dann der Zusammenbruch der Sowjetunion sowie des Warschauer Paktes und damit auch die Befreiung vieler osteuropäischer Staaten von direktem russischem Einfluss und ihre Integration in die EU schienen dieser Strategie recht zu geben. Die Entspannungspolitik nachträglich zu verteufeln ist weder gerechtfertigt noch hilfreich in der Suche nach einer neuen Energiesicherheitspolitik.


Allerdings betraf die größte Vernetzung die russischen Öl- und Gaslieferungen an Staaten der Europäischen Union - wenngleich mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Sie laufen wesentlich über fixe Netze und werden vor allem von russischer Seite stark unter geopolitischen Gesichtspunkten betrachtet. Auch North Stream 2 war eben nicht nur ein wirtschaftliches Projekt. Überdies war und ist das Öl- und Gasgeschäft eng mit der oligarchischen Struktur im Russland von Wladimir Putin verbunden. Und eine solche Struktur fördert nicht die Investitionen in die Modernisierung der Wirtschaft, sondern die kurzfristige Maximierung des Profits, sowie die Erhaltung und Erweiterung wirtschaftlicher und politischer Macht. Damit ist auch die politische und finanzielle Grundlage für eine expansionistische, imperiale und revanchistische Politik des heutigen Russlands vorgegeben. 

Will der Westen nicht direkt in den Krieg eingreifen, so bleibt ihm - neben Waffenlieferungen - nur die Isolierung Russlands durch Sanktionen als Strafmaßnahmen übrig. Im Falle von Öl, Gas und Kohle, aber auch in Bezug auf einige Metalle straft sich der Westen dabei - unvermeidlich - auch selbst, da nicht so schnell alternative Bezugsquellen ausfindig gemacht und erschlossen werden können. Es wäre leichter, hätten die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer schon länger und stärker auf Diversifizierung gesetzt bzw. wäre der Ausbau der alternativen und nachhaltigen Energieformen schon weiter fortgeschritten. 

Jetzt geht es kurzfristig darum neue Bezugsquellen zu erschließen. Die Europäer versuchen dabei im Süd-Kaukasus, in Zentralasien, im Nahen Osten sowie in Nordafrika fündig zu werden. Aber vor allem die USA haben angeboten Flüssiggas zu liefern. Allerdings werden dabei vorübergehend auch Quellen erschlossen werden, die unter Umweltgesichtspunkten keineswegs ideal sind - wie zum Bespiel durch Fracking. Auch die Kernenergie wird da und dort eine Wiederbelebung erfahren. Bei all diesen kurzfristigen und zum Teil problematischen Maßnahmen darf aber die Aufgabe der Energiewende nicht vergessen werden. Da gibt es allerdings einige Hindernisse zu meistern. 

Herausforderungen der europäischen Energiewende 

Die Europäische Union hat schon länger die Bedeutung einer aktiven Klimapolitik unterstrichen. So wurde als Resultat einer umfassenden Diskussion 2020 der Green Deal beschlossen. Aber nun kommen neue und dringenden Aufgabenstellungen auf die EU zu. Die Europäische Kommission hat auf die neuen Herausforderungen auf Grund des Krieges gegen die Ukraine rasch reagiert. In ihrem Vorschlag REPowerEU verweist sie darauf, dass 90% des Gasverbrauchs in der EU importiert werden müssen. Davon entfallen 40% auf Importe aus Russland. Zusätzlich muss die EU aus Russland 27% des Öls und 46% der Kohle importieren. Die Vorschläge der Kommission fordern vor allem eine schnelle Diversifizierungsstrategie, die Steigerung der Energieeffizienz, die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien und die rasche Beseitigung von Infrastrukturengpässen. 

Die meisten Länder der Europäischen Union haben bereits ehrgeizige Zielsetzungen in dieser Richtung beschlossen. Jüngst hat auch die Österreichische Energieagentur, im Auftrag des Energieministeriums, einen Ausstiegsplan für Österreich auf Grund des Ukrainekrieges beschlossen. Demnach sollte russisches Gas bis 2027 gänzlich ersetzt werden. Einerseits soll der Gasverbrauch um ein Viertel sinken, dann sollen andere Versorger gefunden werden, um von dort den Gasimport zu verdreifachen. Im Weiteren setzt der Plan vor allem auf grünen Wasserstoff.

 

Das sind sicher grundsätzlich richtige Zielsetzungen, aber europaweit stockt es vielfach bei der Umsetzung. Auch wenn wir die österreichische Situation betrachten, so ist mit der derzeit vorherrschenden Geschwindigkeit der Umsetzung keine rasche Energiewende möglich und auch die kurzfristigen Zielsetzungen zum Ersatz von russischem Gas nicht machbar. Unter anderem ist mit den heutigen langwierigen Genehmigungsverfahren eine Realisierung der ehrgeizigen Ziele bezüglich Wind- und Solarenergie im vorgesehenen Zeitraum unmöglich. Und oftmals stoßen Klimapolitik und Naturschutz unversöhnlich aufeinander. Dennoch müssen klare Entscheidungen getroffen werden. Dabei wird es nicht ohne manchmal schmerzhafte Kompromisse und Prioritätensetzung gehen. 

Eine Schwierigkeit hinsichtlich der Prioritäten gibt es auch bei der Entscheidung über die Zukunftstechnologie für die Mobilität. Da konkurrieren Batterietechnologien mit der Wasserstofftechnologie. Verschiedene Staaten und verschiedene Konzerne setzen auf unterschiedliche Technologien. Die derzeit ausgereifte Batterietechnologien für das Elektroauto setzen vor allem auf Graphit, Kupfer, Nickel, Mangan, Lithium und Kobalt sowie seltene Erden. Zusätzlich gibt es Bestrebungen in Richtung Feststoffbatterien, die eine wesentlich längere Lebensdauer und eine höhere Sicherheit ausweisen. Überdies kommen sie vielfach ohne die erwähnten Metalle und seltenen Erden aus. Allerdings sind diese Technologien noch nicht ausgereift. 

Auf der anderen Seite setzen Forscher, Politiker und Konzerne auf die Wasserstofftechnologien, wobei der Wasserstoff durch grünen Strom erzeugt werden müsste. Es ist nicht möglich in einem Land allein eine zielführende Strategie hinsichtlich der zukunftsweisenden Technologien zu entwickeln und zu verfolgen. Es braucht eine intensive europäische Zusammenarbeit. So meint eine Gruppe von deutschen Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlern, Veronika Grimm, Justus Haucap und Jürgen Kühling in einem Beitrag in der FAZ unter dem Titel „Damit der Strom sicher fließt“: „Die Fehler der Vergangenheit dürfen beim mittelfristigen Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft nicht wiederholt werden, es gilt hier europäisch zu denken. Der Hochlauf des grünen Wasserstoffs kann im Zusammenspiel von exzellenten Produktionsstandorten und Abnehmern ein EU-Projekt werden, das zugleich Technologiekompetenzen stärkt“.

Andere wieder sehen gerade bei der Produktion von grünem Wasserstoff die Chance einer verstärkten Zusammenarbeit mit nord-afrikanischen Ländern, die mit Solarstrom große Mengen von Wasserstoff nachhaltig produzieren könnten. Sicher hat die EU-Kommission recht, wenn sie sowohl verstärkte Forschungsanstrengungen, einen integrierten Gas- und Wasserstoffmarkt in Europa, Wasserstoffspeicher und eine geeignete Hafeninfrastruktur einfordert. 

Bei allen Überlegungen hinsichtlich Batterie- und Wasserstofftechnologien sind vermehrte Anstrengungen nötig, um zu einer ausreichenden Speicherkapazität von Energie zu kommen. Diese ist notwendig, um die diskontinuierlich erzeugte Energie durch Sonne und Wind kontinuierlich den Verbrauchern zu liefern. 

 

Eine besondere Herausforderung für die Forschung und Entwicklung ist die Suche nach geeigneten Methoden die schon vorhandenen Treibhausgase aus der Atmosphäre herauszufiltern und sicher zu lagern.  Dieses Carbon Removal darf natürlich nicht dazu führen, dass weiterhin viel Treibhausgase ausgestoßen werden und wir die Energiewende verzögern. Aber es könnte zu einer rascheren Erreichung der Klimaziele kommen.

Was wir aber auf alle Fälle benötigen sind die Fachkräfte, die die entsprechenden Produkte für die Energiewende erzeugen und installieren. Bereits jetzt leidet die Umsetzung der Energiewende unter dem Mangel an solchen entsprechend ausgebildeten Kräften. Wir benötigen sie nicht nur für die Entwicklung von neuen Technologien, sondern vor allem für die praktische Umsetzung der vorgegeben Ziele. 

Energiewende und Verteilungspolitik 

Es kommt aber noch ein weiteres Problem hinzu. In den letzten Monaten sind die Energiepreise stark gestiegen und es wird in absehbarerer Zeit kaum zu einem Rückgang der Preise kommen. Vom Standpunkt des Energiesparens mag das positiv erscheinen. Aber vom Standpunkt der Kaufkraft sieht das anders aus. Kurzfristig ist es sicher, dabei auf die Verringerung oder Streichung von Steuern zu setzen und die Preise zu senken. Die Alternative dazu sind Entlastungsmaßnahmen zu Gunsten der sozial Schwachen. Allerdings, es ist nicht so leicht treffsichere Ausgleichsmaßnahmen zu setzen, die die unteren Einkommensschichten entlasten. Das wird aber notwendig sein, will man einen Preisstopp oder Preissenkungen durch eine Reduktion von Steuern auf Energie vermeiden. Die Verteilungsfrage darf jedenfalls bei Preissteigerungen von Energie nicht missachtet werden, will man populären Widerstand gegen die Energietransformation vermeiden. Dasselbe gilt natürlich auch für die Einführung von CO2-Steuern, die ja den Zweck haben, fossile Energie zu verteuern. Wir haben nicht zuletzt im französischen Wahlkampf gesehen welche große Rolle die Erhöhung der Lebenshaltungskosten spielen. 

Die oben angeführten AutorInnen meinen im zitierten Beitrag dazu: „Eine deutlich steigender CO2-Preis wird letztlich vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen und energieintensive Industriezweige belasten. Eine Stärkung des Emissionshandels wird politisch daher nur durchzuhalten sein, wenn der Pfad sozial- und industriepolitisch abgefedert ist.“


Energiewende und Geopolitik 

Die Energiewende, die wir in Europa aus klimapolitischen Erwägungen dringend durchführen müssen, bekam durch den Krieg in der Ukraine einen neuen Anstoß. Nur durch intensive Suche nach neuen Gas- und Ölversorgern, vor allem aber durch eine intensive Dekarbonisierungsstrategie, wird diese Energiewende gelingen. Dabei würde, neben der Suche nach alternativen fossilen Energiequellen und dem raschen Ausbau nachhaltiger Energiequellen, die unmittelbare Abkoppelung von russischem Öl- und Gas nicht nur ein Gebot der Friedenspolitik sein, sondern auch die Energiewende vorantreiben. 

Allerdings verstehe ich durchaus jene PolitikerInnen, die diesen Wechsel ohne allzu große Belastung für die Bevölkerung vornehmen wollen und sich gegen einen sofortigen Importstopp von Öl und Gas aus Russland wenden. Es ist überdies nicht sicher, wie Russland auf einen solchen Importstopp reagieren würde. Es könnte zu einem früheren Ende des Krieges kommen aber auch zu einer Eskalation - zum Beispiel durch den Einsatz von taktischen Atomwaffen.  

Es ist jedenfalls für mich immer wieder erstaunlich, dass bei den ökonomischen Berechnungen der Auswirkungen einer raschen Trennung von russischen Gas- und Öllieferungen zwar von Wachstumsverlusten gesprochen wird, aber nie von den zusätzlichen Arbeitslosen und Einkommensverlusten. Und auch nicht von den psychologischen und politischen Reaktionen der betroffenen Bevölkerung. Und viele, die noch vor kurzem eine Rückkehr zu ausgeglichenen Haushalten einforderten, sehen dieses Problem gar nicht mehr. Für mich ist das jedenfalls eine der schwierigsten Fragen der jetzt notwendigen Koppelung von Friedens- und Klimapolitik in Europa. Vielleicht allerdings erlöst uns Putin von diesem Dilemma, falls er von sich aus die Gaszufuhr sperrt. Allerdings, wir sollten die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen einer solchen abrupten Unterbrechung nicht unterschätzen.

Die globale Armut nimmt zu

Der Krieg in der Ukraine hat aber noch weitere katastrophale Auswirkungen. Vor allem die Unterbrechung von Getreidelieferungen und auch von Düngemittelexporten aus der Ukraine und zum Teil aus Russland schaffen in einigen davon abhängigen Ländern große Versorgungsprobleme. Betroffen von exorbitanten Preissteigerungen sind vor allem Weizen, Mais, Sojabohnen und Sonnenblumenöl. Zwar waren schon vor dem Ukraine Krieg Preiserhöhungen zu bemerken, aber der Krieg hat diese Preisbewegungen noch verstärkt. Die gestiegenen Preise für Brot und andere Lebensmittel führen bereits zu vermehrter Armut und überfordern die Budgets der Regierungen, die diese Preise abstützen möchten. Verbreitete Unruhen und neue Konflikte wären keine Überraschung. 

 

Wir müssen bedenken, dass zum Beispiel 44% des Weizens, den Libyen benötigt, bisher aus der Ukraine importiert wurde und 77% des Sonnenblumenöls, das Indien benötigt, kam ebenfalls aus der Ukraine. Jedenfalls gibt es internationale Berechnungen, dass eine Erhöhung der Lebensmittelpreise um 1% die Anzahl der Armen um 10 Millionen erhöht. Diese Erhöhung der Anzahl der Armen betrifft vor allem arme und ohnedies schon stark verschuldete Länder. Und diese zahlen für die Kredite, die sie aufnehmen wollen, um soziale Unterstützung zu gewähren, einen Zinssatz, der drei bis viermal so hoch ist wie jener, den reiche Länder zahlen.


Hinzu kommt, dass der Krieg in der Ukraine bereits jetzt die Ausgaben für Rüstung ansteigen lässt. Je länger der Krieg dauert desto mehr Rüstungsgüter werden vernichtet und desto stärker wird die Stellung der Militärs und der Rüstungskonzerne im Kampf um Budgetmittel werden. Bei gleichzeitigen Wachstumsschwächen in Ländern der Europäischen Union, dem größten Geldgeber für Entwicklungsländer, wird das aller Voraussicht auf Kosten der Mittel für Armutsbekämpfung und der Unterstützung für die Klimapolitik der Länder mit niedrigem Einkommensniveau gehen. Statt dass die Kluft zwischen Reich und Arm sich schließt, wird sie wieder größer werden. 

Es mag allerdings einige Ausnahmen geben. Einige Länder könnten von der Umlenkung der Nachfrage von Öl und Gas profitieren. Durchwegs sind dabei aber nicht die breiten Schichten dieser Länder die Nutznießer, sondern kleine Gruppen, die mit den Energiemultis in Verbindung stehen, wir sehen das zum Beispiel in Nigeria und Angola. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf Metalle und seltene Erden, die gerade für die Elektromobilität erforderlich sind. Der Economist bezeichnet Staaten, die von der Nachfrage nach solchen Ressourcen für die Elektromobilität profitieren als Electrostates. Diese Elektrostaaten umfassen einige reiche Demokratien, wie zum Beispiel Australien. Aber auch einige „arme“ autokratische Staaten wie den Kongo, der 46% der globalen Kobalt Reserven besitzt. Und vor allem auch China, das große Reserven an Aluminium, Kupfer, Lithium und seltenen Erden besitzt. 

Die Tatsache, dass oftmals die direkt Betroffenen wenig von der Gewinnung dieser Rohstoffe profitieren und sogar eher Nachteile wie Zerstörung der Landschaft und Verunreinigung des Wassers erfahren, führt zu verstärktem Widerstand. Wir sahen das vor kurzem nicht nur in Chile, dem Land mit den zweitgrößten Lithium-Vorkommen, sondern auch in Europa, von Serbien bis Portugal. So wird in einem Bericht über die Proteste in Serbien einer der Organisatoren mit der Aussage zitiert: „Was kümmert uns eure grüne Energiewende“.

 

Was wir jedenfalls aus globaler Sicht benötigen ist eine Politik, die sowohl die Energiesicherheit als auch die Ernährungssicherheit im Fokus hat. Und der Krieg in der Ukraine hat es noch deutlicher gemacht, wie wichtig es ist, beides mit Nachdruck zu verfolgen.

Kreislaufwirtschaft und Rohstoffpolitik

Jede Energiewende bedarf einer klugen Rohstoffstrategie. Europa hat hier einiges verschlafen. Jakob Kulik und Jens Gutzmer plädieren in einem Beitrag im Handelsblatt für die Schaffung einer Europäischen Rohstoffallianz und einer EU Agentur für Rohstofffragen: „Mit einer solchen Agentur sollten fortan alle Schlüsselmärkte und Lieferketten, die für Europas Wirtschaft von strategischer Bedeutung sind, konsequent analysiert und auf Risiken überprüft werden…..Die Rohstoffagentur sollte ferner auf dem globalen Markt tätig werden, aber auch die heimischen Potentiale zur Rohstoffversorgung im Fokus haben. … Dazu gehören nicht nur Fragen des Rohstoffabbaus, sondern auch des Recyclings, der Kreislaufwirtschaft, der Technologieentwicklung und der Forschung.“ Europa muss also die Versorgung mit den Rohstoffen sicherstellen, die für die Energiewende wichtig sind. Aber auch diesbezüglich gilt es einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden und auf Diversifizierung zu setzen. 

Will Europa die einseitigen Abhängigkeiten vermeiden und auch die oftmals mit der Gewinnung dieser Rohstoffe verbundenen Umweltbelastungen und die damit verbundenen Widerstände in der Bevölkerung reduzieren und vermeiden, wird man verstärkt auf die Wiedergewinnung und Recycling setzen müssen. Bei steigenden Preisen der Rohstoffe könnte sich auch die Kostenfrage relativieren. Neueste Studien haben ergeben, dass innerhalb der EU durch Recycling 21% des Lithiums, 18% des Kobalts und 14% des Nickels des voraussichtlichen Verbrauchs von 2030 gewonnen werden können. Und ähnliches wird für die Wiedergewinnung aus Windturbinen geschätzt.

Grundsätzlich wird es immer mehr Bemühungen geben müssen eine „circular economy“, also eine Kreislaufwirtschaft, zu entwickeln. Das gilt auch für den Bausektor wo das „urban mining“, also die Wiedergewinnung und Verwertung, im Falle des Abbruchs eine größere Rolle spielen wird müssen. Da wird man aber schon bei der Errichtung der Gebäude auf eine gute und wirtschaftliche Art des urban mining Rücksicht nehmen müssen. Jüngst hat die Europäische Kommission auch diesbezügliche Vorschläge für die Kleiderindustrie gemacht. Auch wenn manche diese Detailanforderungen an die nationalen Klimapolitiken kritisieren, gehen sie in die richtige Richtung.

Mehr Aufgaben - weniger wirtschaftliche Mittel 

Der Krieg in der Ukraine - er ist ja keineswegs der einzige Krieg auf dieser Welt - hat insbesondere Europa schwer getroffen. Es ist richtig, dass er die Maßnahmen der Klimapolitik und insbesondere die Energiewende beschleunigen kann. Aber all das ist in Europa selbst und vor allem global zu unternehmen, wo die Wirtschaft weniger wächst, die Lebenshaltungskosten steigen und die Finanzen durch mehr Militärausgaben aber auch durch den Wiederaufbau in der Ukraine stark beansprucht werden. Dabei brauchen wir für die Energiewende selbst und die finanzielle Absicherung sozial benachteiligter Schichten mehr Geld. Das gilt innerhalb der reicheren Länder und auch global. 

Generell ist die große und zum Teil wieder wachsende globale Ungleichheit eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Der amerikanische Soziologe Mike Davis meinte dazu in seinem Werk „Living on the Ice Shelf: Humanity’s Meltdown”: „Niemand, absolut niemand hat eine Ahnung, wie ein Planet von Slums mit einer wachsenden Lebensmittel- und Energiekrise sein biologisches Überleben sichern kann, und vor allem das unvermeidliche Bestreben nach grundsätzlichem Glück und Würde erfüllen wird können.“ 

Nach den Berechnungen der Internationalen Energie Agentur sind sogar 70% der für die globale Energiewende notwendigen Investitionen in den aufstrebenden und Entwicklungsländern notwendig. Also in jenen Ländern, die gleichzeitig einen großen Nachholbedarf hinsichtlich Wohlstand gegenüber den Industriestaaten haben. Vor allem die große Zahl der einkommensschwachen Schichten in diesen Ländern brauchen verstärkteren Zugang zu Energie, um der extremen Armut zu entkommen und den Lebensstandard zu erhöhen. Diese Energie sollte aber verstärkt nachhaltig produziert werden. Diesbezüglich ist aber die Hilfe der reichen Länder notwendig. Es braucht viel mehr an solchen Vereinbarungen, die seitens der wohlhabenden Länder mit Südafrika zur Unterstützung des Ausstiegs aus der Kohle in Glasgow beschlossen haben. 

Bei allen Bemühungen auf nationaler Ebene dürfen wir die globale Situation nicht aus dem Auge verlieren. So meinte der Direktor der Internationalen Energieagentur Fatih Birol kürzlich in einem Interview: „Wollen Sie wissen, was mich um meinen Schlaf bringt? Es sind die weltweiten Emissionen. Ob in Zürich, Jakarta oder Detroit, die Atmosphäre bleibt gleich. Es ist insgesamt für die Emissionsbilanz egal, wenn Europa seine Klimaziele erreicht. Die EU, die für ungefähr 8 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, kann das allein nicht beeinflussen. Es ist also ein Rennen - aber eins, bei dem alle am Ziel ankommen müssen. Sie müssen sich vorstellen: In Schwellenländern werden innerhalb der nächsten zwanzig Jahre rund 90 Prozent aller Emissionen verursacht werden.“

Wir müssen uns also im Klaren sein, dass für eine effiziente Bekämpfung des Klimawandels eine umfassende Transformation notwendig ist. Dennis Meadows zeigt sich im Vorwort zur sechsten Auflage des bahnbrechenden Werkes „Die Grenzen des Wachstums“ nicht sehr optimistisch. So meint er: „In den letzten beiden Jahrzehnten haben folgenschwere Veränderungen stattgefunden, und doch ist seit 2004 nichts geschehen, was eine Anpassung des Vorworts erfordern würde, das Jorgen Randers und ich damals geschrieben haben.“ Und weiters meinte er: „Die letzten Jahrzehnte haben eine Erschöpfung der natürlichen Ressourcen der Erde erlebt, genau wie wir es vorhergesagt haben. Auch die sozialen Ressourcen verknappen. Gleichzeitig konnten wir wachsende Ungleichheit beobachten, ansteigenden Autoritarismus und schwindendes Vertrauen in die Wissenschaft, ihrer Aufgabe der Bewertung und Überwachung von Politiken nachzukommen.“  

Ich erwähne diese kritischen bis pessimistischen Bemerkungen nicht um Defätismus zu verbreiten - und das ist ja auch sicher nicht die Absicht von Dennis Meadows. Aber wir sollten uns im Klaren sein, wie umfassend die Aufgabe der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation ist, die wir benötigen. Es genügt nicht die richtigen Forderungen aufzustellen. Man muss auch sehr genau auf die Umsetzungsmöglichkeiten und Voraussetzungen für die gesellschaftlichen Akzeptanz achten. Das gilt für die nationale, die europäische aber auch die globale Ebene. 

 

Zu den positiven Entwicklungen gehört sicher das verstärkte Engagement der Wirtschaft, gerade auch der globalen Unternehmungen. Immerhin verursachen nach verschiedenen Berechnungen die 100 größten globalen Unternehmen 71% der Treibhausgase. So ist das verstärkte Engagement dieser Unternehmungen, wie es sich bei der letzten Klimakonferenz in Glasgow gezeigt hat, sehr wichtig. Vor allem die Versicherungen und hier wieder die Rückversicherungen machen auf die Dringlichkeit einer zwischen Politik und Wirtschaft angestimmten Vorgangsweise in der Klimapolitik aufmerksam. Allerdings müssen auch die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen und die Vergütungsprinzipien für das Management so gestaltet werden, dass sie den Aufgaben der Klimapolitik entsprechen.

 

Dabei müssen wir alle durch unsere verschiedenen beruflichen und gesellschaftlichen Aktivitäten - gerade auch seitens des Club of Rome-Austrian Chapter mithelfen, das zu überwinden, was der jüngste Bericht des amerikanischen Time Magazins das „demokratische Defizit“ nennt: „So herausfordernd es in Zeiten der Polarisierung erscheint, so gilt es nicht nur die Transformation weg von fossilen Energien zu beschleunigen, sondern auch jene vor den Auswirkungen des Klimawandels und der vor uns liegenden Veränderungen zu schützen, die darunter am meisten leiden.“

 

Zusammenfassung

Aus all diesen Fakten und Argumenten sollte klar sein, dass es bei den Herausforderungen der Klimapolitik um eine umfassende Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft geht. In diesem Sinn geht es auch um eine „neue Aufklärung“ die den heutigen Bedingungen angepasst werden muss. Was gestern rational war, muss es nicht mehr heute sein. Was im Westen, der viele Regionen der Welt kolonialisiert hat, als rational gegolten hat, muss nicht heute global noch als rational gelten. Und es gilt auch ein neues Gleichgewicht zwischen Neuem, Erneuern und Bewahren zu finden.

 

Der allzu früh verstorbene französische Schriftsteller und Philosoph Albert Camus hat das schon in den vierziger Jahren folgendermaßen ausgedrückt: „Jede Generation sieht wohl ihre Aufgabe darin, die Welt neue zu erbauen. Meine Generation weiß, dass sie sie nicht neu erbauen wird. Aber vielleicht fällt ihr eine noch größere Aufgabe zu. Sie besteht darin den Zerfall der Welt zu verhindern.“

 

Aktuell erleben wir den Zerfall der Friedensordnung in Europa. Die große Aufgabe, vor der wir stehen, ist es die Welt, soweit wir sie aufgebaut haben, auf einen nachhaltigen Kurs zu bringen und die Friedensordnung in Europa wiederherzustellen - hoffentlich in einer stabileren Form. Dabei müssen wir versuchen, wie es Bruno Latour formuliert, Demokratie und Frieden durch eine ökologische Politik zu sichern und so den „Zerfall der Welt“ zu verhindern.


Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IIP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.