100 Tage Biden

Biden hat sich tatsächlich als präsidentieller erwiesen als vielfach angenommen. Innenpolitisch sind sein Tempo und seine Reformfreudigkeit hoch. Impffortschritt, Infrastruktur- und Sozialprogramme, Einwanderungsreform, teilweises Erlassen von Studiengebühren, Steuererhöhungen sind Vorhaben, die viel Durchsetzungskraft im Kongress erfordern. Einige Maßnahmen etwa in der Infrastrukturreform werden mit einzelnen Republikanischen Senatoren möglich sein.

Vom Sanders-Flügel in der Demokratischen Partei kann sich Biden Unterstützung erwarten, nachdem dieser personell leer ausgegangen ist. Das Tempo ist unter anderem damit zu erklären, dass die Zwischenwahlen in eineinhalb Jahren nicht allzu weit entfernt sind und sich die Republikanische Partei gerade in einer Schwächephase befindet und. Es gibt schwere Konflikte zwischen dem Trump und anti-Trump Flügel. Vorerst erhofft sich die Wirtschaft in der Covid-Krise vom sonst viel gescholtenen Staat Unterstützung. Wahrscheinlich wird sich mittelfristig eine Fundamentalopposition gegen Sozialausgaben formieren. Es wird so etwas wie die Tea-Party entstehen. Ein Anlass wäre, wenn Biden die Versicherungsleistungen von „Obamacare“ wiederbeleben wollte.

Außenpolitisch entpuppt sich Biden als Hardliner gegenüber China und Russland. Der Großmachtkonflikt verschärft sich. Damit punktet er bei den Falken bei den Republikanern und beim Menschrechtsflügel in der eigenen Partei. Die Rückkehr zum Klimaabkommen, in die WHO und WTO ist aber lediglich die Wiederherstellung des vor-Trump Zustandes und nicht sehr schwierig. Es ist noch kein Beweis dafür, dass die USA ein multilaterales Vorbild wird. Schwieriger wäre es, wenn Biden ausständigen multilateralen Abkommen beitreten würde, wie dem Internationalen Strafgerichtshof, den Frauenrechts- und Kinderrechtskonventionen, dem umfassenden nuklearen Teststoppabkommen, der Seerechtskonvention, den Konventionen über Landminen und Streubomben.

Die Wiederbelebung des multilateralen Nuklearabkommens mit dem Iran (JCPOA) aus der Obama-Zeit (2015), das derzeit in Wien verhandelt wird, ist ein Testfall dafür, ob sich Biden innenpolitisch gegen die Gegner durchsetzen kann. Trotz aller Bekenntnisse zur transatlantischen Partnerschaft hat Biden neben den anderen Sanktionen die Drohung mit Sekundärsanktionen nicht aufgehoben, falls europäische Unternehmen mit dem Iran Geschäfte tätigen wollen.

Biden betont bei jeder Gelegenheit die amerikanische Führerschaft. Führerschaft bedeutet aber nicht Partnerschaft. Natürlich sollen die USA beim Kampf eine tragende Rolle übernehmen, gehören sie doch weltweit zu den beiden Staaten mit dem größten CO2-Ausstoß. Die Europäer können sich jedoch bei den bevorstehenden Großmachtkonflikten nicht bedingungslos der US-Führerschaft unterwerfen.

Picture: The White House


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Univ. Prof. Dr. Heinz Gärtner is a lecturer in the Department of Political Science at the University of Vienna and at Danube University. He was academic director of the Austrian Institute for International Affairs. He has held various Fulbright Fellowships and the Austrian Chair at Stanford University. He was Austrian Marshall Plan Foundation Fellow at the Johns Hopkins University in Washington DC. Among other things, Gärtner chairs the Strategy and Security advisory board of the Austrian Armed Forces and the Advisory Board of the International Institute for Peace (IIP) in Vienna. He has published widely on international security, nuclear non-proliferation and disarmament, US foreign policy, geopolitics, Iran, and the Middle East.