WEST SAHARA: NOCH EIN KONFLIKT WIRD HEISS

Ob es die Corona Pandemie ist oder was immer, mehrere alte Konflikte flammen in diesen Tagen neu auf. So im Falle von Nagorna Karabach oder auch innerhalb Äthiopiens. Ein solcher Konflikt ist auch der Streit innerhalb der Westsahara bzw. zwischen Marokko und der Westsahara Befreiungsorganisation Polisario. Diese will sich nicht länger an das Waffenstillstandsabkommen halten.

Koloniale und post-koloniale Wurzeln
Der Streit hat seine Wurzeln in der kolonialen bzw. post-kolonialen Zeit. Wie so oft in Afrika hat die Kolonialmacht - in diesem Fall Spanien - ihre Kolonie im Nord-Westen von Afrika verlassen ohne sich um einen geordneten Übergang zu kümmern. In der Konferenz zu Berlin 1884/85 bei der sich die europäischen Mächte Afrika aufteilten, bekam Spanien die Westsahara zugesprochen. Marokko wurde im letzten Jahrhundert zum Teil von Frankreich und zum Teil von Spanien beherrscht. Die Entkolonialisierung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhundert erfolgte chaotisch. Als Spanien die Provinz „Spanisch-Sahara“ 1976 in die Unabhängigkeit entließ, stellten Marokko und Mauretanien Gebietsansprüche. Die sahaurischen Stämme wollten aber die Unabhängigkeit und gründeten die Demokratische Arabische Republik Sahara. Marokko gab nicht nach und annektierte die Westsahara. Es kam zu einem bewaffneten Konflikt, bis 1991 ein Waffenstillstand vereinbart wurde und sich ca. 100.000 Sahauris in die algerische Region um Tindouf in Flüchtlingslager zurückzogen. 

Immer wieder versuchte die UNO zu vermitteln und einen Kompromiss herbeizuführen. Marokko wollte aber nicht auf seine Gebietsansprüche verzichten. Die Westsahara ist ein mit Bodenschätzen gesegnetes Land. Der Konflikt hat sich auch auf die Beziehungen zwischen Algerien und Marokko ausgewirkt. Algerien unterstützt die Polisario, vor allem, weil dies den Konkurrenten und Nachbarn Marokko schwächt. Die Grenzen zwischen diesen beiden Maghrebstaaten sind seitdem auch schwer passierbar. Wie bei vielen bilateralen Konflikten versuchen auch Drittstaaten ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Und ein Konflikt mit dem Nachbar kann nationalistischen Kräften in Algerien nützen, die Bevölkerung um sich zu scharen. Und Ähnliches gilt für Marokko.

Referendum versus Autonomie 
In den letzten Jahren haben sich die Streitparteien prinzipiell auf eine Volksabstimmung zur Lösung der Unabhängigkeitsfrage geeinigt. Aber dann begann der Streit darüber, wer abstimmen darf. Wer ist ein stimmberechtigter Einwohner der Westsahara? Vor allem nachdem viele Marokkaner in den von Marokko besetzten Teil eingewanderten sind, ist es fast unmöglich,  zu einer korrekten von beiden Seiten akzeptierten Definition der Stimmberechtigten zu kommen. 

Die Alternative, die von Marokko angeboten wurde, war ein Autonomiestatus für die Westsahara innerhalb Marokkos. Da dieser Streit auch immer wieder im EU Parlament zur Sprache kam und ich mich selbst in dieser Frage engagiert hatte, habe ich in mehreren Gesprächen mit hochrangigen marokkanischen Vertretern immer wieder auf die Notwendigkeit einer genauen Definition einer weitgehenden Autonomie verwiesen. Außerdem müsste in vertraulichen Gesprächen ein entsprechendes Angebot an die Sahauris gemacht werden. Aber leider ist da nicht wirklich ein detaillierter und überzeugender Plan gekommen. Auf der anderen Seite hat auch die Polisario kein großes Interesse an Autonomie Diskussionen gehabt. Sie pochte auf die Unabhängigkeit und manche wünschten sich wieder einen bewaffneten Kampf herbei. 

Beeindruckende Organisation 
Die Polisario war in vielen Ländern Europas und auch in Brüssel aktiv. Sowohl in Österreich also auch im Europäischen Parlament wurde ich immer wieder von Polisario VertreterInnen angesprochen und zu einem Besuch vor Ort eingeladen. So nahm ich auch eine Einladung zu einem Besuch in einem der Flüchtlingslager an. Über Algier flog ich nach Tindouf, wo mich nachts ein Jeep abholte und quer durch die Wüste - ohne erkennbare Piste - ins sahaurische Gebiet brachte. Ich übernachtete im Lehmhaus einer jungen sahaurischen Familie in einem Flüchtlingsdorf, das sie nach der Stadt Smara aus dem von Marokko besetzten Gebiet benannt haben. 

Ich war überrascht als ich früh am Morgen - so wie in Europa - die Kinder mit ihrer Schultasche am Rücken in die Schule gehen sah. Insgesamt war ich beeindruckt von der guten Organisation, die die Polisario in diesem Dorf - umgeben von der algerischen Sandwüste - aufgebaut hat. Ich „durfte“ sogar - gemeinsam mit einem Außenminister aus einem südafrikanischen Land - eine  Militärparade abnehmen. Allerdings, das Leben wurde zum Großteil von internationalen Hilfsgeldern finanziert und es gab kaum eigene wirtschaftliche Aktivitäten. Die Hilfsbereitschaft aber sank mit zunehmender Dauer des Konflikts. Auch mein Treffen mit dem damaligen Präsidenten der Polisario und der von ihr gegründeten Republik, Mohamed Abdelaziz, in seinem Zelt, gab keinen Anlass zur Hoffnung auf eine friedliche Lösung. Und dasselbe muss ich sagen, galt auch für die meisten Gespräche mit den Vertretern Marokkos. 

Südtiroler Autonomie als Lösungsmodell? 
So sehr ich die Geduld und das Durchhaltevermögen der Sahauris und der Polisario bewunderte, so sehr plädierte ich für die Suche nach einer Kompromisslösung. Ich unterstütze die Idee einer weitgehenden Autonomie, die aber auch international überwacht werden sollte. Die Lösung konnte keine marokkanische Angelegenheit allein sein. Die UNO war von Anbeginn an eingeschaltet und immer wieder wurden hochrangige Vertreter als Vermittler bestellt. Die UNO müsste auch bei der Umsetzung jeglicher Kompromisslösung eine aktive Rolle spielen. 

Was die Ausgestaltung der Autonomie betrifft, so kam auch immer wieder das Modell Südtirol ins Spiel. Zum Teil konnte ich auf den Erfolg dieses Modells verweisen. Zum Teil haben marokkanische VertreterInnen darauf verwiesen und sich für die Details der südtiroler Lösung interessiert. Ein Modell bietet nun keine sklavisch zu imitierende Lösung, man kann aber viel davon lernen. So haben die Sahauris keinen unterstützenden Staat, wie es Österreich für die Südtiroler war und ist. Diesbezüglich kann auch Algerien keine vergleichbare Rolle spielen. 

Aber sowohl die UNO als auch die Afrikanische Union könnten den Schutz der Sahauris innerhalb einer Autonomie Lösung übernehmen. Die meisten Regierungen Afrikas haben ja in den letzten Jahrzehnten die Polisario unterstützt. Das führte sogar 1984 zum Austritt Marokkos aus der Organisation für Afrikanische Einheit. Jetzt aber, nachdem Marokko der Afrikanischen Union wieder beigetreten ist, könnte eine schwierige aber doch für beide Seiten brauchbare Lösung gefunden werden. 

Die Vertreter der Polisario waren naturgemäß von meinem Plädoyer für eine gut ausgestattete und international begleitete Autonomielösung wenig begeistert bzw. manche sogar sehr enttäuscht. Nun haben die Kämpfe wieder begonnen. Aber es ist nicht zu sehen, dass die Polisario einen unabhängigen Staat Westsahara erkämpfen wird. Das mag ungerecht sein, aber die Frage ist, ob ein weiterer Kampf für die Unabhängigkeit die vielen Opfer rechtfertigt. Die Frage ist auch wer den Nutzen davon trägt, dass Hoffnungen geweckt werden, die kaum zu erfüllen sind.

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Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.

Nach Erscheinen dieses Blogs hat das IIP folgenden Beitrag der Nushatta Foundation erhalten. Ohne dass wir den darin berichteten Sachverhalt im Detail überprüfen können, belegt er wie wichtig es ist, dass alle Beteiligten wieder ins Gespräch kommen. Gewalt kann nicht zum Frieden führen. Die Menschen in der West Sahara, vor allem die Flüchtlinge brauchen wieder eine Zukunft mit Jobs und Verständigung zwischen allen in dieser Region lebenden Menschen.

In diesem Kontext möchten wir auch auf die neuesten Entwicklungen in der Region aufmerksam machen. Der neueste Deal der Trump Administration, die Anerkennung der marokkanischen Hoheit über die Westsahara und die Eröffnung eines US-Konsulats dort - im Gegenzug für die Anerkennung Israels durch Marokko, wurde ohne Rücksicht auf die Rechte der in der West Sahara lebendenden Sahrawi Bevölkerung geschlossen und wird wohl kaum zu einer Entspannung führen. Selbst der Vorsitzende des Senate Armed Services Committee der USA, Jim Inhofe, beschrieb die Entscheidung des Weißen Hauses als“shocking and deeply disappointing“, und fügt hinzu er sei “saddened that the rights of the Western Sahara people have been traded away.”

Siehe Artikel in POLITICO vom 12.10.2020.

 

Untenstehend das Statement der Nushatta Foundation:

After the break of the ceasefire between the Western Sahara Independence movement POLISARIO front and Morocco who occupies Western Sahara in the 13th of last month, 

Moroccan occupation forces have attempted to abduct three Sahrawi journalists belonging to the Sahrawi media/human rights organization Nushatta Foundation, which has been actively reporting on the repression in Western Sahara. Other members of Nushatta Foundation are finding their homes being placed under continued police surveillance. On 16 November, reports received that the police had raided the homes of the cameraman and presenter Mohammed Haddi and Cherif Bakhil who work in the departments of photography and logistics, Sahrawi journalists of Nushatta Foundation. Their houses were raided by over 20 masked and armed special police forces and intelligence led by officers like Ahmad Kaya, Ali Buyfry, and Yonse Fadel who are implicated in gross human rights violations against Sahrawis. They terrorized the families of the two journalists, who were not at home, managed to escape and subsequently went into hiding. On 25 November, there was an additional abduction attempt against Saharawi journalist Ibrahim Mrikli, also of Nushatta Foundation. According to local activists, Moroccan police tried to abduct him outside of the house of his grandparents in the In the boulevard of Tanatan El Aaiún city, but he managed to flee in a car and subsequently went into hiding. Mrikli has been arrested or detained several times since 2017 and currently faces political prosecution in retaliation for his work as a reporter. This past May 15, he was subject to arbitrary arrest and his trial hearings are still ongoing.

 

Links:

https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE2931112020ENGLISH.pdf

https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE2931112020ENGLISH.pdf

https://www.frontlinedefenders.org/en/case/arbitrary-detention-human-rights-defender-ibrahim-mrikli"n

https://www.frontlinedefenders.org/en/case/arbitrary-detention-human-rights-defender-ibrahim-mrikli